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Silberfieber

Silberfieber

Titel: Silberfieber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wuehrmann
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Ihm war viel daran gelegen, seine Theorien zu veröffentlichen; am finanziellen Erfolg war er, nach allem was ich über ihn gelesen habe, weniger interessiert.
    Er verwendete, wie gesagt, Einsteins Notizen und verwob sie mit seinen eigenen Theorien. Im Sog der internationalen Beachtung, die Einstein zuteil wurde, passierte dann das Unfassbare. Es gelang Georg Felgendreher tatsächlich, in den Jahren zwischen 1905 und 1910 zwei Abhandlungen zu veröffentlichen. Allerdings fanden sie wenig Beachtung.« McCully strich sich zum zweiten Mal über die Narbe an seinem Auge.
    »Dann war er also bloß ein Trittbrettfahrer?«, fragte Peter.
    »Ja, etwas in der Art«, sagte McCully, »und er wäre wahrscheinlich völlig in Vergessenheit geraten, wenn sich nicht eine seiner Abhandlungen intensiv mit der Titanic beschäftigt hätte.«
    »Wie bitte?«, fragte Frank erstaunt.
    »Ja, so ist es. Und was das Erstaunliche daran ist, er hat sie geschrieben, bevor die Titanic im Atlantik versunken ist.«
    »Wollen Sie uns erzählen, er war Hellseher?« Frank blickte beinahe prüfend auf das Glas Whisky in der Hand von McCully.
    »Nein, nein, verstehen Sie mich nicht falsch.« McCully lachte, da er Franks Blick auf sein Whiskyglas bemerkt hatte.
    »Felgendreher war kein Weltuntergangsprophet, im Gegenteil. Ich habe selbst die beiden Arbeiten von ihm im Staatsarchiv von Bern aufgetrieben und nachgelesen. Die eine ist aus dem Jahr 1908 und trägt den Titel › Aphorismen zur praktischen Anwendung der speziellen Relativitätstheorie ‹ und die andere Arbeit heißt ›Ein Traktat über den Zeitsprung – die Reduzierung der Geschwindigkeit bei Atlantiküberquerungen mit Schiffern und ist aus dem Jahr 1911. Dem Jahr, in dem der Bau der Titanic in Belfast nahezu vollendet war.«

22
    Draußen schien der Wind nachgelassen zu haben. Die kahlen Äste der Parkbäume von Hampstead Heath bewegten sich kaum noch in der Nacht, und im Bibliothekszimmer des Professors war nur noch das leise Knistern des Kaminfeuers zu hören. Frank saß seit einer Weile ebenso schweigend in seinem Sessel wie Peter und Professor McCully, der, wie um seine Gedanken zu sortieren, eine Pause in seiner Schilderung eingelegt hatte.
    Frank dachte wieder an Einstein, ihren Verfolger, der den Namen des berühmten Physikers als Decknamen benutzte, dessen Lebensgeschichte sie soeben gehört hatten. Hatte er von dem seltsamen Georg Felgendreher erfahren? Und kannte er den möglichen Zusammenhang mit der alten Seekarte, der er hinterherjagte? Frank fühlte sich unwohl bei dem Gedanken an ihren Verfolger und wünschte fast, sie hätten die Nacht in dem sicheren Gebäude des Instituts verbracht, anstatt sich hier in dem von allen Seiten einsehbaren Haus von Professor McCully zu verstecken. Hatte Einstein es geschafft, ihre Spur bis hierher zu verfolgen?
    Frank wollte gerade aufstehen, um noch einmal einen Blick aus dem Fenster in die Dunkelheit zu werfen, als McCully mit seiner Schilderung fortfuhr: »Die beiden Abhandlungen von Georg Felgendreher genügen eigentlich kaum seriösen wissenschaftlichen Ansprüchen. Aber im Licht der damaligen Zeit besehen, waren seine Gedanken, die weit in die Zukunft reichten, wahrscheinlich gar nicht so abwegig, wie sie uns heute erscheinen.«
    »Ich verstehe aber immer noch nicht, wie er gerade auf die Titanic gekommen ist«, sagte Peter.
    »Das ist auch nur zu verstehen, wenn man seine Erklärungsversuche zur Relativitätstheorie mit der Fortschrittsgläubigkeit des beginnenden 20. Jahrhunderts in Verbindung bringt. Felgendreher hat, übrigens wie eine ganze Anzahl seiner Zeitgenossen nach dem Erscheinen der Relativitätstheorie, darüber nachgedacht, wie stark sich der Begriff der Zeit relativieren lässt. Die Zeit erschien den technikgläubigen Menschen damals plötzlich in neuem Licht. Zuerst hatten die Eisenbahnen die Reisezeit unglaublich schrumpfen lassen, dann stand schon das Automobil vor der Tür, um die Geschwindigkeit in immer weitere Dimensionen zu treiben. Der Inbegriff aller Fortschrittsgläubigkeit waren die ständig größer werdenden Passagierschiffe, die Ozeanriesen, die allem Anschein nach eine perfekte Einheit von Geschwindigkeit und Größe waren. Als die Titanic in der Unglücksnacht des 15. April 1912 mit dem Eisberg kollidierte war sie ja nicht zufällig gerade dabei, den Rekord der schnellsten Atlantiküberquerung von England nach New York zu brechen.
    Felgendrehers Glaube an den technischen Fortschritt war

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