Silberfieber
herausgestellt.«
McCully rieb sich nachdenklich mit seinem linken Mittelfinger über die Narbe über seinem Auge. Dann sagte er: »Um nicht zu sagen, Felgendreher war ein Phantast.«
Frank und Peter warteten geduldig, bis McCully sich daranmachte, die Einzelheiten von Felgendrehers Theorien zu erklären.
»Einstein hat sich immer gesträubt, wenn man ihn bat, die Relativitätstheorie zu erklären. Er selbst wusste am besten, dass das nicht einfach in drei Sätzen ging. Das wird vor allem dann deutlich, wenn sich Physiker bemühen, Einsteins Theorie einem Normalsterblichen zu erklären. Da geht es um Raumschiffe, die annähernd, aber doch nicht ganz mit Lichtgeschwindigkeit fliegen, es geht um die physikalische Masse von Menschen, die sich in aneinander vorbeifahrenden Zügen begegnen und sich gegenseitig nur als verzerrte Gestalten wahrnehmen können, oder um Leute mit Taschenlampen, die dem Ende des Lichtstrahls hinterherjagen.«
Trotz der späten Stunde bemühte sich Frank angestrengt, McCullys Ausführungen zu folgen.
»Ja, aber genau das besagt doch die Relativitätstheorie. Irgendetwas mit der Relativität von Geschwindigkeit und von Energie und Masse, die sich auf der Erde verteilt.«
Peter versuchte ebenfalls, sich daran zu erinnern, was die Relativitätstheorie eigentlich aussagte: »Und die, insgesamt gesehen, dann doch nicht verloren geht«, ergänzte er.
McCully sah die beiden mit einem augenzwinkernden Lächeln an.
»Da gehören Sie doch beide zu unserem hoffnungsvollen wissenschaftlichen Nachwuchs, aber was Einsteins spezielle Relativitätstheorie aussagt, oder was eigentlich e = mc 2 bedeutet, können Sie mir auch nicht erklären, was?«, sagte er schmunzelnd.
Frank und Peter schwiegen, aber sie sahen nicht so aus, als ob ihr Schweigen von einem schlechten Gewissen kam, weil sie am Ende eines anstrengenden Tages die Relativitätstheorie nicht mehr erklären konnten.
McCully fuhr fort: »e = mc 2 bedeutet Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat und sagt aus, dass Materie so umgewandelt werden kann, dass die darin enthaltene Energie frei wird. Objekte können Energien entwickeln, die sie der eigenen Masse entnehmen. Kurioserweise schlussfolgerte Einstein die Gleichartigkeit von Energie und Materie unter anderem aus der jedem Kind einleuchtenden Beobachtung, dass man Lichtstrahlen nicht einfangen kann.«
Kenneth McCully konnte erkennen, dass die Konzentration seiner Zuhörer langsam dem Ende zuging.
»Es ist aber doch sehr schwer«, fuhr er fort, »diese simple naturwissenschaftliche Aussage anhand praktischer Beispiele zu erklären, weshalb es all diese komischen Lichtfang- und Eisenbahnbeispiele gibt.«
»Aber dieser Georg Felgendreher hat sich wohl eingebildet, die Theorie erklären zu können, oder?«, fragte Peter.
»Genauso war es«, sagte McCully. »Aber zunächst trennte der Erfolg die Wege Einsteins und seines Berner Kollegen.
Einstein gelang die Veröffentlichung der berühmten Formel als Teil der Speziellen Relativitätstheorie. Ihre Bedeutung für die Naturwissenschaften und die physikalische Forschung wurde nach anfänglicher Zurückhaltung nach und nach erkannt. Einstein wurde zunehmend als wissenschaftliche Größe akzeptiert und wurde schließlich sogar Professor und Leiter des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin. Dort gelang ihm mit der Allgemeinen Relativitätstheorie 1915 eine, wie sich später zeigen sollte, noch viel bedeutendere Theorie, und 1921 erreichte er den vorläufigen Gipfel seines Weltruhmes, als er den Nobelpreis für Physik erhielt. Seine Zeit als kleiner Sachbearbeiter beim Berner Patentamt war somit nur noch Erinnerung.
Beim Berner Patentamt arbeitete aber noch immer der strebsame Georg Felgendreher, der davon überzeugt war, mit seinen Abwandlungen und Weiterentwicklungen von Einsteins Theorien eines schönen Tages selbst zu Weltruhm zu gelangen.
Vielleicht hat er sich auch geärgert, dass er damals die Theorie nicht einfach unter seinem Namen hatte publizieren lassen. Denn als er Einsteins Artikel über die Spezielle Relativitätstheorie las, fiel ihm wie allen anderen Kollegen und Wissenschaftlern auf, dass Einstein seine Arbeit nicht mit einer einzigen Fußnote versehen hatte. Das galt damals wie heute als eine Ungeheuerlichkeit in der Welt der Wissenschaft, und es wäre somit für Felgendreher ein Leichtes gewesen, die Notizen Einsteins als seine eigenen Gedanken auszugeben.
Felgendreher war Einstein aber gar nicht so unähnlich.
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