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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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der Handfläche die Falten zum Rand. Aus dem Wohnzimmer kein Laut, im Flur niemand. Es gab kein Bild
     für heute, er drehte den Kopf zur Seite, presste den Nacken fester gegen den Kiel. Er konnte nicht fahren, sein Druck schob
     die Daune wieder in den Bezug zurück, ein wenig spürte er noch das Stechen, er streckte die Hand aus, seine Finger legten
     den Schalter wieder um. Still lag er, wartete, bis seine Augen in der Dunkelheit die etwas helleren Fenstervierecke wieder
     ausmachen konnten. Irgendwo im Haus lief Wasser, floss das Fallrohr hinab. Klang, als hätte er vergessen, den Hahn abzudrehen.
     In der ersten Nacht war er aufgestanden |96| und hatte nachgesehen, frierend in seinem Pyjama, im hellen Badlicht blinzelnd.
    Er zog sich zusammen, in der dünnen Restwärme unter der Decke, zog die Knie an, bis er die Füße mit den Händen berühren konnte,
     seine Füße kalt und fremd. Im Flur niemand, aus dem Wohnzimmer kein Laut. Reglos lag er da, fühlte sein Herz schlagen, stetig
     und schnell.
    Er schlug jäh die Decke zurück, stieß sie mit den Füßen von sich, er wollte zum Fenster, wollte die Vorhänge aufreißen, die
     Dielen kalt unter seinen Sohlen. Er sah sie gerade noch rechtzeitig, fing den Schritt in der Luft ab, setzte ihn knapp neben
     die weißen Quadrate auf den Boden. Sie lagen mit der Vorderseite nach unten, so gingen sie kaputt,
Agfa
las er,
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in Blassbraun. Er zog die Vorhänge auseinander. Sie haben sie umgebracht. Schneegriesel sank auf die leere Straße hinab, Sie
     haben sie umgebracht, kreiselte und tanzte im Licht der Laternen. Ein glühendes Band schlang sich um seinen Steiß, als er
     sich hinabbeugte, »Ischias«, sagte er leise vor sich hin, die Bilder intakt, keine Kratzer, kein Fett.
    Er meinte die Dielen zu hören, die Dielen im Flur, unter ihrem Gewicht.
    »Fenster auf, wenn Sie fertig sind«, brüllte er.
    Die Badezimmertür schlug zu, sie drehte den Schlüssel.
     
    Es gab keinen Grund, leise zu sein. Barfuß zu gehen. Zu überlegen, welche Dielen knarrten. Keinen, bei jedem Geräusch im Flur
     stillzustehen, die Bilder fest |97| gegen den Bauch gepresst. Im Bad Regentropfen auf einem Plastikdach. Es gab keinen Grund zu denken, unter der Dusche würde
     sie ihn nicht hören, und dann zu eilen.
    Das Wohnzimmer war ungelüftet. Sie hatte die Stehlampe angeknipst, eine der Birnen nur. Im Lichtkegel auf dem Couchtisch stand
     ein Glas mit einem Wasserrest, helle Krümel schwammen darin, ekelten ihn. Daneben, akkurat gestapelt,
Agfa
, las er, lagen die restlichen Bilder, die Vorderseite unten.
    Sie hatte ihr Bettzeug nicht weggeräumt, es lag zerknüllt auf dem Sofa, roch säuerlich nach Schweiß. Das Kopfkissen war beinahe
     zu Boden gerutscht, darunter lugte etwas Blaues hervor. Er hob das Kissen an, das Blaue war die Tasche mit dem aufgenähten
     Anker. Sie hatte auf ihr geschlafen, hatte sie unter dem Kopfkissen versteckt.
    Er nahm die Bilder, blätterte sie eilig durch, wollte nachsehen, ob sie vollständig waren. Sicher war er nicht, er hätte sie
     zählen können, siebenundvierzig mussten es sein. Er sah sich um, wo hätte sie die Bilder hintun sollen. Die Tasche. Sie konnte
     die Bilder in die Tasche getan haben. Hatte die Tasche unter dem Kopfkissen versteckt, hatte darauf geschlafen, glaubte, die
     Bilder seien eine Waffe, glaubte, etwas in der Hand zu haben gegen ihn. Im Bad Stille.
    Er zog die Bettdecke zur Seite, in einer der Falten war etwas Orangefarbenes, es fiel auf die Dielen, als er die Decke anhob.
     Es klang nach Plastik, er sah hinab, dort lag sein Küchenmesser, orangefarbener Plastikgriff, kleine Klinge, das Messer, mit
     dem sie gestern die |98| Kartoffeln geschält hatte. Er hob es auf, berührte mit dem Daumen vorsichtig die Schneide, sie war scharf. Jana Potulski hatte
     sich bewaffnet. Er prüfte die Festigkeit der Klinge, sie ließ sich mit zwei Fingern problemlos verbiegen.
    Er beugte sich vor, wollte nach der Tasche greifen, sein Fuß stieß gegen etwas Hartes. Neben seinem Fuß, zur Hälfte unter
     die Couch geschoben, lag ein Schirm. Sein Schirm, schwarz, in einem Kunstlederetui. Der Schirm gehörte an die Garderobe, die
     Garderobe hatte zwei Haken, einen für die Kleiderbürste, an dem anderen hatte gestern Abend noch der Schirm gehangen. Er ließ
     sich auf das Sofa fallen, das Kopfkissen fiel zu Boden, es scherte ihn nicht. Die Tasche war sehr leicht, er drückte sie zusammen,
     versuchte die Bilder zu ertasten, aber da war nur Weiches.

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