Silberfischchen
eine Ecke bohrte sich in seinen Steiß, seine Arme tasteten nach hinten. Sein Gewicht schob
die Konsole zurück, sie schrammte über die Dielen, es klang wie ein leises Brüllen, am Türrahmen der Küche blieb sie stehen.
Er bekam ihre Kante zu fassen, hielt sich an ihr fest, richtete sich wieder auf, der Steiß schmerzte, er konnte seinen Puls
fühlen, in den Handgelenken und auch in den Schläfen.
»Haben Sie sich weh getan?«
Sie machte einen Schritt auf ihn zu, ließ das Türblatt los. Er starrte sie an, presste die Tasche an sich, rieb mit der freien
Hand über seinen Steiß, schüttelte den Kopf, langsam, nein, keine Schmerzen. Mitleid war in ihrer Stimme, in ihrem Gesicht,
seine Hand zuckte, er wollte es wegschlagen. Das Mitleid aus ihrem Gesicht schlagen, mit der Handfläche ihr Nasenbein eindrücken.
»Hören Sie auf, Sie tun sich nur weh«, sagte sie.
Er presste die Tasche fester an sich, presste sie an seinen Bauch, die Tasche war weich. Ihre Mundwinkel zuckten, als sie
es sah, spöttisch, wie er fand.
»Ist auch egal«, sagte sie, »ich brauche die Tasche |197| eigentlich nicht«, sie machte eine Bewegung mit der Hand. Als sei alles nicht wichtig, ihre Sachen nicht, er nicht. »Auf Wiedersehen,
Hermann«, sie wandte sich ab, »machen Sie es gut«, wollte ihm den Rücken zudrehen, wollte gehen.
»Nein«, seine Hand schnellte vor, griff nach ihrem Oberarm, »hiergeblieben«, seine Stimme überschlug sich, vermerkte er erstaunt,
»Sie erklären sich erst.«
Ihr Arm glitt durch seine Finger, er fasste fester zu, bekam das Handgelenk, umschloss es mit beiden Händen, versuchte sie
zu ziehen, sie warf sich mit ihrem ganzen Gewicht nach hinten. »Lassen Sie mich los«, sagte sie, und in einem stilleren Augenblick,
»bitte.« Mit der freien Hand versuchte sie, seine Finger zu lösen, ihre Haare zerzaust, ihr Gesicht gerötet, vor Anstrengung,
vor Schmerz vielleicht. Er schloss seine Finger fester, fühlte ihre Knochen, presste seine Nägel in ihre Haut, sie würde bluten,
dachte er zufrieden. Plötzlich hörte sie auf zu ziehen. Er taumelte rückwärts, hätte beinahe ihren Arm losgelassen.
»Das ist doch albern«, sagte sie.
Schritte, hinter der Tür der Nachbarwohnung, sie hatten den Lärm gehört, kamen nachsehen, er riss mit ganzer Kraft an ihrem
Arm. Sie schoss vorwärts, überrascht, versuchte sich auf den Beinen zu halten, stieß gegen die Garderobe, er schloss die Tür.
»Meine Schwester erwartet mich«, sagte sie, »sie wird sich wundern, wo ich bleibe«, und, »Hermann, seien Sie doch vernünftig.«
»Wollen Sie mir drohen? Nach allem, was Sie angerichtet haben, wollen Sie mir drohen?«
|198| Seine Stimme wurde immer lauter, je breiter ihr Lächeln wurde.
»Nein«, sagte sie, »ich will nur gehen«, sagte es betont geduldig.
Er brüllte vor Wut.
Etwas Scharfkantiges stach in seinen Kopf, glitt mühelos durch seine Schädeldecke, glitt tiefer. Machte hinter seinem Augapfel
halt, seinem rechten Augapfel, blieb dort stecken, eine dreieckige Spitze aus Schmerz, in seinen Kopf gebohrt. Er wollte seine
Hände heben, tasten, seinen Kopf betasten, Jana Potulski sah ihn an, schien nicht zu bemerken, dass sich etwas in seinen Kopf
bohrte.
Die Holzmaserung, dunkle, parallele Linien im hellen Holz, die ein Oval bildeten, die Holzmaserung der Konsole wurde größer,
er konnte jede kleine Linie, jeden Kratzer erkennen, sie wuchsen auf ihn zu. Die Kommode kam näher, seltsam, dachte er, wie
konnte die Konsole wachsen, er versuchte, den Kopf zu drehen, einen Augenblick war Frau Potulski wieder in seinem Blickfeld.
Er fiel. Plötzlich verstand er, er fiel nach vorn, hatte gar nicht gesehen, dass sie zugeschlagen hatte, den Fleischklopfer,
die Weltuhr, ein Messer in der Hand gehalten hatte, zugeschlagen hatte, sie musste schnell gewesen sein. Jetzt waren ihre
Hände leer, hingen rechts und links an ihrem Körper herab. Die Konsole war so nah, dass er Möbelpolitur riechen konnte, er
versuchte, die Arme zu heben, gleich würde er aufschlagen. Sie sah erschrocken aus, ihr Mund geöffnet, als würde sie schreien,
die Augenbrauen hochgerissen, die Augen sehr groß, viel Weiß war zu sehen, als hätte |199| sie Angst. Kein Schmerz, nur das Dreieck in seinem Kopf, er fühlte die kühle, glatte Oberfläche an seiner Wange, seiner Schläfe,
er hörte ein Poltern, als würden Möbel geschoben, weit weg, aber kein Schmerz. Die Konsole wich nach hinten aus,
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