Silberfischchen
hintereinander. Die Türklinke bewegte
sich abwärts, die Tür bewegte sich nicht.
»Ja bitte«, rief er, »was wollen Sie?«
»Machen Sie auf«, ihre Stimme war laut, verzweifelt vielleicht, die Türklinke schlug auf und nieder, sie zerrte an ihr.
»Moment«, er fuhr mit den Füßen in die Pantoffeln. Dumpfe Schläge von der Tür, sie schlug mit der Handfläche gegen das Holz.
»Hören Sie auf«, brüllte er, was fiel ihr ein.
Einen Moment war Stille.
»Sie machen jetzt auf«, sagte sie, ruhiger.
»Was wollen Sie«, fragte er, das kühle Metall des Schlüssels zwischen den Fingern.
|90| »Sie machen jetzt auf«, wiederholte sie leise hinter der Tür.
Er drehte den Schlüssel, hatte nicht erwartet, dass sie gegen das Holz gelehnt stand, ihr Gewicht drückte die Tür auf, entriss
ihm die Klinke. Jana Potulski taumelte nach vorn, trat auf seinen Fuß, stand in seinem Zimmer, das Gesicht gerötet, die Haare
zerzaust. Den einen Arm hatte sie seitlich vom Körper abgespreizt, in der rechten Hand hielt sie einen Stapel Fotos, hielt
sie am äußersten Rand, als wollte sie jede Berührung vermeiden. Als sie seinen Blick bemerkte, streckte sie die Hand aus,
streckte ihm die Bilder entgegen, die Kanten berührten seinen Bauch.
»Was ist das«, fragte sie, ihre Stimme ganz dünn, er wusste, welche Bilder es waren.
»Es ist Ihnen verboten, die Schuber zu öffnen, Frau Potulski«, seine Stimme überschlug sich, »es ist Ihnen verboten.«
Er stieß ihre Hand weg, der Stapel rutschte ihr aus den Fingern. Sie sah zu, wie sie fielen, auseinanderglitten, sich auffächerten
auf den Dielen, eins landete auf seinem Pantoffel, er stieß es weg.
»Was ist das?«, wiederholte sie, bückte sich nicht, machte keine Anstalten, die Bilder aufzuheben.
»Meine Frau«, antwortete er, »Sie sind Gast, Sie müssen tun, was ich sage.«
»Sie ist tot«, sagte sie, wieder mit der dünnen Mädchenstimme, als werde sie gleich weinen.
»Ich sagte doch, ich bin Witwer«, er wurde ungeduldig, »heben Sie die Bilder auf.«
»Sie haben sie umgebracht«, sie starrte ihn an, die |91| Augen nicht mehr schmal, sondern weit aufgerissen, zum ersten Mal schien sie Angst zu haben.
»Raus«, brüllte er, »wie können Sie es wagen«, brüllte er, sie rührte sich nicht, zuckte nicht, starrte ihn bloß an.
»Sie haben sie getötet.«
Er packte ihren Unterarm, drückte ihn gegen ihren Bauch, benutzte ihn wie eine Stange, drängte sie rückwärts. Ihre andere
Hand verkrallte sich in seinen Pyjama, er umfasste das Handgelenk, presste seine Fingernägel in Haut, stieß zu, lehnte sich
gegen sie, mit seinem ganzen Gewicht gegen sie. Kurz hielt sie stand, doch dann musste sie rückwärts, er drängte sie weiter,
rückwärts in den Flur zurück.
Er musste sie mit einer Hand loslassen, Tränen liefen aus ihren Augen, er bekam die Tür zu fassen, schlug sie zu, hörte Frau
Potulski dumpf gegen das Holz prallen. Er lehnte sich gegen die Tür, drehte den Schlüssel, seine Lunge sog ruckartig Luft
ein, seine Arme taten weh.
Den ersten Film hatte er noch am selben Abend zum Entwickeln gebracht, am nächsten Tag konnte er die Bilder abholen. Vor und
nach dem Dienst ging er in den Garten, nach ihr sehen.
Sie lag auf der Seite, der Körper bekleidet mit einem blauen Kittel, Knopfleiste vorn, mit Büstenhalter und Unterwäsche, die
Kleidungsstücke ohne Befund, stand im Ermittlungsbericht. Ein Arm über den Kopf ausgestreckt, neben ihrer Hand der Klammerbeutel.
Der andere Arm quer vor ihrem Bauch, mit dem Handrücken aufgestützt auf den grünen Rasen, das Handgelenk im |92| 90-Grad-Winkel abgeknickt, als würde sie etwas halten. Einen kleinen Korb vielleicht. Als die Starre nachließ, sackte der
Arm hinab auf ihren Körper.
Zuerst kamen die Totenflecken, Livores. Die Unterseiten von Armen und Beinen, auch ihr Nacken, färbten sich dunkel, das Blut
dort zusammengelaufen und geronnen, die übrige Haut sehr hell. Ihr Kopf zur Seite gedreht, die rechte Gesichtshälfte ins Gras
gedrückt, Nase, Wange und Kinn violett. Auf Armen und Rücken erschienen unregelmäßige Streifen, Kriechspuren von Nacktschnecken,
die in der Morgensonne glitzerten. In den braun gefärbten Löckchen erst Tau, später kleine schwarze Käfer. Ihre Augen offen,
ein kleines silbriges Insekt klebte auf dem rechten Augapfel, auf dem Schwarz der Pupille. Er ließ es dort, nur die Schnecken
sammelte er morgens und abends ab und warf sie auf den
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