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Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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immer so lang zu dauern, wie es den Verkehrsbetrieben dienlich war. »Hausfrau.
     Nichts Besonderes.«
    »Hat keine Kinder gekriegt«, setzte er hinzu, mehr war nicht zu sagen.

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    |105| 10.
    »Höher, Frau Potulski, höher«, er presste das rechte Auge gegen die Gummifütterung des Kamerasuchers. »Der Schirm ist immer
     noch im Bild.« Er richtete sich auf, sie hatte die Augen verdreht, viel Weiß war zu sehen.
    »Mir ist kalt«, sie klang erbost, ihre Nase gerötet im kälteblassen Gesicht, die Lippen bläulich, mit kleinen weißen Hautfetzen
     bedeckt.
    »Halten Sie ihn höher, dann geht es schneller.«
    Er beugte sich wieder hinab, zwei Männer standen vor der Tafel neben der Kirchentür, studierten sie eingehend, er musste warten.
    »Machen Sie Ihr verdammtes Bild«, sie stampfte einen Turnschuh in den vereisten Boden.
    »Höher«, entgegnete er.
    »Meine Nase«, sie ließ den Schirm erneut sinken, durchwühlte ihre Taschen, ein durchsichtiger Tropfen hing an ihrer Nasenspitze,
     schließlich wischte sie ihn mit dem Ärmel ab.
    »Sie sind widerlich«, sagte er, auf dem Ärmel war ein dreieckiger Fleck, feucht noch, bald würde er silbrig getrocknet sein,
     »nehmen Sie ein Taschentuch.«
    »Ich habe keins«, sie betonte jedes Wort einzeln, Schneeflocken legten sich auf ihre Wimpern, schmolzen dort, das Wasser ließ
     sie die Augen zukneifen.
    |106| »Hier«, er reichte ihr eines von seinen, sie nahm es, ohne ihm zu danken.
    Aus dem Taschentuch wurde in kürzester Zeit ein feuchter, grauer Klumpen. Jedes Mal, wenn sie ihre Nase putzte, klappte sie
     den Schirm zusammen, klemmte ihn zwischen ihre Knie, Schneeflocken setzten sich auf die Kamera, er versuchte, sie mit den
     Händen abzuschirmen. Jedes Mal zog sie die Handschuhe von ihren Fingern, steckte sie in die Jackentasche, holte den grauen
     Klumpen hervor und schnäuzte sich.
    »Beeilung, die Kamera«, sagte er.
    Ungerührt zog sie die Handschuhe wieder an, prüfte bei jedem Finger einzeln, ob sie richtig saßen.
    Er sah durch den Sucher. Vor dem Kirchenportal sammelte sich eine Gruppe Touristen um eine Frau, die ein Schild hochhielt,
     auf dem
Guide
stand.
     
    Seine Hände wurden kalt, »kurze Pause«, er drehte den Deckel auf das Objektiv, zog die Regenhaube über die Kamera. Zuoberst
     in der Tasche lag der Saft, er reichte ihn ihr, sie nahm ihn, ohne zu zögern, klappte stumm den Schirm zusammen. Als er die
     Thermoskanne aus der Tüte wickelte, konnte er ihre laue Wärme durch seine Handschuhe spüren.
    Er schraubte den Becher von der Kanne und klemmte ihn zwischen die Knie, er brauchte beide Hände, um den Verschluss aufzudrehen.
    »Soll ich«, fragte sie.
    Das Gewinde schmatzte, als es nachgab, kleine Teebläschen zerplatzten an der Öffnung.
    |107| »Ich mache das jeden Tag«, antwortete er.
    Er gab acht, nicht zu tropfen, nichts zu vergeuden, goss den Becher nur halb voll, das genügte, um zu wärmen, neun halbvolle
     Becher konnte er aus einer Kanne rausholen, manchmal fast zehn. Er hielt die Tasse mit beiden Händen, der aufsteigende Dampf
     legte sich warm auf seine Wangen.
    »Und ich«, fragte sie.
    »Soll ich?« Er stellte den Becher auf dem Taschendeckel ab, streckte die Hand nach der Saftpackung aus, sie sah hinab auf
     ihre Hände, als hätte sie den Saft vergessen. »Ich brauche den Tee«, sagte er, die Saftpackung hatte einen Drehverschluss,
     seine Handschuhe rutschten ab, »meine Finger«, sagte er, »meine Finger werden steif.«
    Jana Potulski hüpfte, von einem Fuß auf den anderen, es sah lächerlich aus, eine kleine stämmige Frau, die hüpfte.
    »Sie müssen aus der Packung trinken, ich habe nur einen Becher«, sagte er, der Drehverschluss gab endlich nach. Er hielt ihr
     den geöffneten Saft hin, sie sah ihn nicht einmal an.
    »Der ist kalt«, sagte sie, »davon wird mir noch kälter.«
    Er ließ den Arm ausgestreckt, der Karton war schwer, sein Arm zitterte.
    »Sie wollten den Apfelsaft haben, jetzt werden Sie ihn auch trinken«, sagte er.
    Langsam nahm sie die Packung, blickte ihn unentwegt an, er fühlte die Wärme des Bechers in seinen Fingern, der Dampf ließ
     seine Nase tropfen. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Frau Potulski die Saftpackung |108| ansetzte, er konnte sie schlucken hören. Beim Absetzen lief ein wenig Saft über ihr Kinn.
    »Davon wird mir noch kälter«, sagte sie.
    Er antwortete nicht. Schweigend stießen sie nebeneinander Atemwolken aus, die Touristen gingen langsam in die Kirche. Frau
     Potulski

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