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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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die anderen einholen. Es gibt bei ihnen Freunde von ihm, die vielleicht etwas wissen, sie können uns sagen, wohin er geflogen ist …“
    „Weißt du, dass du eine Verletzung hast?“, fragte ihn Zephir ruhig.
    Wie auf ein Stichwort bemerkte Schatten plötzlich einen Schmerz in seinem linken Flügel. Als er hinschaute, konnte er ein kleines Loch in der Flügelhaut sehen, aus dem langsam dunkles Blut quoll. Es wurde ihm ein wenig übel.
    „Eine von den Tauben muss nach dir gepickt haben.“
    „Ja“, sagte Schatten gleichgültig und dann: „Woher weißt du, dass es die Tauben waren?“
    „Scharfe Ohren“, sagte Zephir mit einem leichten Lächeln. „Ich höre eine ganze Menge von dem, was am Himmel über der Stadt vor sich geht. Und es hat diese Nacht einen ziemlichen Aufstand gegeben, das kann ich dir versichern. Ein Besuch vom Botschafter der Eulen ist kein alltäglicher Vorgang.“
    Ehe Schatten eine Flut von Fragen loslassen konnte, kam ihm die weiße Fledermaus zuvor und beendete plötzlich das Gespräch.
    „Nun, wir wollen sehen, was wir für deine Verletzung tun können. Sie ist nicht ernst, aber wir müssen uns doch um sie kümmern. Hier entlang.“
    Er führte sie zu einem langen steinernen Sims unter einem Fenster und ließ sich auf allen vieren in einem Haufen getrockneter Blätter nieder. Zuerst dachte Schatten, dass diese einfach irgendwie in den Turm hereingeweht worden waren, aber dann bemerkte er, dass sich in der Nähe viele ordentliche Häufchen unterschiedlicher Arten von Blättern befanden. Einige waren so frisch, dass sie noch feucht und von kleinen Tröpfchen bedeckt waren, andere so alt und welk, dass sie knisterten, als Zephir unter ihnen herumsuchte. Und noch andere Dinge lagen auf dem voll bedeckten Sims: helle Beeren, Stückchen von Zweigen, große zwiebelförmige Wurzeln, an denen noch die Erde klebte, Insekten, die längst vertrocknet waren, Käfer, die Schatten mit Sicherheit noch nie gesehen hatte und bei denen er mehr als einmal überlegen würde, ob er sie essen sollte, mit Schuppenpanzern und hornigen Stacheln am Kopf. Da lagen auch Stückchen von verwesten Regenwürmern, Maden und Motten.
    „Wofür hat er nur das ganze Zeug?“, flüsterte Schatten Marina misstrauisch zu.
    „Ich sammle diese Sachen“, sagte Zephir, der ihn offenbar gehört hatte. „Es besteht kein Grund, misstrauisch zu sein. Die Sachen sind sehr nützlich, glaube mir. Versuche keine Vorurteile zu haben, ich bin etwas länger als du auf dieser Welt.“
    Schatten murrte verlegen. Er hätte wissen müssen, dass Zephir ihn hören würde. Mit seinem Klangauge hatte er den Taubenschlag über die halbe Stadt hinweg gesehen.
    Er konnte praktisch Gedanken lesen.
    Nach einer kleinen Weile kam die weiße Fledermaus mit einer Beere in einer Kralle und einem Blatt in der anderen zurück.
    „Falte deinen Flügel auf“, sagte er zu Schatten. Dann zerkaute er die Beere gründlich.
    „Was machst du da?“, fragte Schatten.
    Ohne zu antworten beugte sich Zephir über Schattens Wunde und träufelte den Saft der klein gekauten Beere darauf. Es brannte und Schatten zuckte zurück.
    „He!“
    „Es wird verhindern, dass sich eine Entzündung auf deinem Flügel ausbreitet. Und er wird schneller heilen.“ Vorsichtig verstrich er mit der Zunge die ölige Flüssigkeit.
    „Das alles schafft eine Beere?“, fragte Marina.
    „Es ist ein ganz gewöhnliches Heilmittel“, sagte Zephir. „Nun, Schlaf ist sicher das Beste für dich.“
    „Nein“, sagte Schatten, „wir können nicht länger hier bleiben. Ich wollte sagen, wir müssen aufbrechen, wir haben schon so viel Zeit verloren.“ Aber er war erschöpft, und nun fing auch der Riss im Flügel an mit scharfen Stichen bis in die Schulter zu schmerzen.
    „Glaub mir, Silberflügel, du brauchst Schlaf“, sagte Zephir. „Und du könntest den richtigen Weg jetzt sowieso nicht finden, auch wenn du wolltest.“
    Schatten konnte das nicht verstehen. Er wollte Zephir gerade um eine Erklärung bitten, aber dieser hatte schon ein kleines Stückchen von dem Blatt abgebissen, das er mitgebracht hatte. Es hatte eine auffällige Form und dunkle Adern, und Schatten konnte sich nicht erinnern schon jemals so eins gesehen zu haben. Aber er hatte auch nie besonders auf die Form von Blättern geachtet. Man konnte sie nicht essen, jedenfalls hatte er das bislang geglaubt.
    „Mach den Mund auf“, forderte Zephir ihn auf.
    Er zögerte.
    Mit einem Anflug von Ungeduld sagte Zephir: „Es wird

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