Silberflügel: Roman (German Edition)
Turmhelms.
„Es sind Riesenfledermäuse“, flüsterte er erstaunt.
Er flog eine weite Runde und sah, dass es insgesamt vier Geschöpfe waren, eins an jeder Ecke, die in die Nacht hinausstarrten. Regungslos wie Stein.
„Sie leben nicht“, rief er Marina zu. Er musste über sich selber lachen. Nur durch die Lichter der Stadt hatten ihre Augen gefunkelt. Der Speichel, der ihnen aus den offenen Mäulern troff, war nichts weiter als Regenwasser.
Marina kam zu ihm hergeflogen.
„Aber was sind sie?“, murmelte sie erstaunt.
„Es sind Wasserspeier“, sagte eines der Geschöpfe mit einer tiefen, nachhallenden Stimme. „Die Menschen haben sie gemacht.“
Schatten zuckte zurück. Die Stimme war eindeutig aus einem Paar klaffender Kiefer gekommen.
„Kommt herein“, fuhr die Stimme fort und Schatten erkannte, dass sie offenbar von einer Fledermaus stammte.
Der Schlund des steinernen Geschöpfes erstreckte sich, wie Schatten jetzt sah, als eine Art Tunnel weit in den Turmhelm hinein. Er blickte zu Marina.
„Erwartest du etwa, dass ich da hineingehe?“, fragte sie.
„Es ist der richtige Turm. Das Kreuz und alles andere. Und da drinnen ist jedenfalls eine Fledermaus.“
„Ihr braucht keine Angst zu haben“, sagte die Fledermausstimme tief aus dem Inneren des Turms.
„Nun, dann bin ich ja beruhigt“, sage Marina sarkastisch.
„Hör zu“, sagte Schatten. „Der Turm muss ungefährlich sein. Sonst würde meine Kolonie ihn nicht als Orientierungspunkt benutzen, oder?“
„Nach dir.“
Er wusste, dass er als Erster hineinmüsste. Er holte tief Luft. Es war nicht einfach, direkt zwischen die von Feuchtigkeit tropfenden Kiefer des steinernen Ungeheuers hineinzufliegen. Er landete inmitten zackiger Zähne und rechnete fast damit, dass sie zuschnappen würden. Aber sie verharrten wie festgefroren in ihrer schrecklichen Grimasse.
„Scheint in Ordnung“, rief er zu Marina zurück.
Zögernd landete sie neben ihm und zusammen krochen sie über den feuchten Boden immer weiter in den steinernen Schlund hinein.
„So ist’s richtig, nur weiter“, ertönte die Stimme aus der Dunkelheit.
Schatten schickte einen schnellen Klangblick aus und erkannte die Umrisse einer Fledermaus, die am Ende des Tunnels davonflatterte.
Von oben ergoss sich Regenwasser aus einem Rohr auf sie herab und sie eilten an der Stelle vorbei zu dem trockeneren Stein dahinter. Der Tunnel weitete sich. Aufmerksam horchte Schatten auf die Echos, die zu ihm zurückgeworfen wurden, und er erkannte, dass sie sich im Inneren des Turmhelms befanden. In dem gewaltigen Raum gab es mehrere Metallungetüme wie riesige Birnen oder Zwiebeln, aber innen hohl. Sie hingen an einem ausgeklügelten System von Seilen, Balken und metallenen Zahnrädern.
„Ich heiße Zephir.“
Von einem hölzernen Strebebalken hing die merkwürdigste Fledermaus, die Schatten je gesehen hatte. Ihre Größe war normal, aber das Fell war strahlend weiß. Ihre Flügel waren hell und vollkommen durchscheinend, sodass man die dunklen Umrisse des Unterarms und der langen spindeldürren Finger sehen konnte. Sogar das Geflecht der Adern war erkennbar.
„Es hat nichts mit meinem Alter zu tun“, erklärte die Fledermaus, als ob sie das Erstaunen von Schatten und Marina bemerkt hätte. „Ich bin ein Albino – mein Fell und meine Haut haben keine Pigmente. Auch meine Augen nicht, als ich sie noch benutzen konnte.“
Schatten blickte daraufhin Zephir in die Augen und sah, dass sie vom grauen Star mit gespenstischem Weiß überzogen waren.
„Kommt und lasst euch bei mir nieder.“
Schatten und Marina flatterten hinauf und krallten sich neben Zephir ins Holz.
„Diese steinernen Geschöpfe“, fragte Marina, „was ist das?“
„Es sind Wasserspeier.“
„Also davon haben die Tauben geredet!“, sagte Schatten. „Wozu dienen sie?“
„Dies ist eine Kathedrale“, fuhr Zephir fort, „für die Menschen ein heiliger Ort, vor langer Zeit erbaut. Ich denke, sie haben diese Wasserspeier errichtet, um Geister und Dämonen abzuschrecken, die nur die Menschen verstehen. Uns haben sie hier in der Stadt letztendlich gute Dienste geleistet. Kein Vogel oder Vierfüßler wagt sich in die Nähe des Turms. Für hunderte von Jahren haben wir diesen Ort als sichere Zuflucht beansprucht und immer ist hier eine Fledermaus als Wächter postiert gewesen, um Reisenden in Not zu helfen. Und für die letzten zwanzig Jahre bin ich der Hüter des Turms gewesen.“
„Du lebst hier?“,
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