Silberflügel: Roman (German Edition)
dir helfen einzuschlafen.“
Widerwillig öffnete Schatten den Mund und zuckte zurück, als die weiße Fledermaus ihm den Saft des Blattes hineinträufelte. Wenigstens schmeckte es nicht so fürchterlich, genau genommen, schmeckte es nach gar nichts.
„Du solltest heute auf allen vieren schlafen und mit einem flach ausgestreckten Flügel.“
„Sie wollten uns die Flügel abpicken“, erzählte er Zephir nicht ohne Genugtuung. „Sie haben gesagt, Riesenfledermäuse hätten früher in der Nacht zwei ihrer Soldaten getötet.“
„Ja, ich habe mitgehört, wie einer von den Wachtposten der Eulen das gesagt hat.“
„Und sie wollen den Luftraum sperren!“, sagte Schatten, als ihn die Erinnerung überfiel. Wie dumm! Er hätte Zephir das früher mitteilen sollen. Es war wichtig. Aber mit all den anderen Neuigkeiten, den Wasserspeiern, dem Zusammentreffen mit einer weißen Fledermaus, dem Finden des richtigen Turms …
„Ich weiß auch über die Sperrung des Luftraums Bescheid“, sagte Zephir behutsam zu ihm.
„Ach, gut“, meinte Schatten. Er musste gähnen, dann raffte er sich wieder hoch. „Es gibt doch in Wirklichkeit keine so großen Fledermäuse, oder?“
„Schlaf ein wenig“, sagte Zephir. „Wir sprechen morgen Nacht weiter.“
Schatten fühlte schon, wie eine schwere, köstliche Wärme seinen Körper durchströmte. Ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit übermannte ihn. Dieses Gefühl zu Hause zu sein, an einem Ort wie dem Baumhort, bei seiner Mutter. Wie betäubt blickte er zu Marina.
„Ich denke, wahrscheinlich mache ich ein kurzes Nickerchen …“
Das Innere des Turmes schien sehr dunkel zu werden, sogar sein Klang-Sehen ließ nach und die silbernen Linien verschwammen, dann verschlang ihn reine, schweigende Finsternis.
Goth landete neben Throbb auf einem Sims in der metallenen Röhre. Übel riechende Dämpfe stiegen aus dem Dunkel empor, aber sie waren wenigstens warm. Es war der beste Schlafplatz, den er auf den Dächern dieser verfluchten Stadt hatte finden können. Er wusste nicht viel über die Gebäude der Menschen und er hatte bis zur Morgendämmerung nicht viel Zeit gehabt.
Die Sonne. So hatte er wenigstens gesehen, wo Osten war, und dadurch konnte er Süden bestimmen. Aber er wusste, er würde mehr als das brauchen, um eine Nacht lang den Kurs zu halten.
Es würde nötig sein, diesen nördlichen Sternenhimmel verstehen zu lernen.
„Wir brauchen einen Führer“, sagte er zu Throbb. „Jemanden, der uns zeigt, wie man sich an den Sternen orientiert – das ist der einzige Weg, um wieder nach Hause zu kommen. Wir müssen eine Fledermaus finden.“
– 11 –
Die Sternenkarte
Schatten öffnete die Augen, als hätte er gerade nur geblinzelt, und erblickte Zephir, der auf ihn herabschaute.
„Oh“, sagte er, „ich dachte, ich wäre eingeschlafen.“
Die weiße Fledermaus lachte. „Das bist du auch. Du hast den ganzen Tag durchgeschlafen. Die Sonne ist gerade untergegangen.“
Schatten runzelte die Stirn. Es kam ihm so vor, als hätte er gerade erst die Augen geschlossen, aber mit Sicherheit fühlte er sich erfrischt und hellwach. Er erinnerte sich an den Riss im Flügel und schaute danach.
Das Beerenöl hatte eine helle durchsichtige Haut darüber gebildet, und der Schmerz war nur noch ein schwaches Unbehagen.
„Ich habe den Eindruck, dieses Pflanzenzeug nützt wirklich etwas“, sagte er und bewegte vorsichtig den Flügel. „Wo ist Marina?“
„Unten in der Kathedrale. Sie wollte sich die Menschen ansehen.“ Zephir zeigte auf einen weiten Schacht in der Mitte des Fußbodens.
„Was machen sie da unten?“, fragte Schatten etwas unsicher. Er hatte noch nie einen Menschen gesehen.
„Sie treffen sich hier manchmal am Abend. Sie reden und singen. Ich glaube, sie beten auch. Geh und schau nach, wenn du Lust hast.“
Schatten ließ sich von dem Sims fallen, auf dem er geschlafen hatte, und kreiste mehrmals im Turminneren, um seinen Flügel auszuprobieren. Ein wenig steif und schmerzhaft bei der Abwärtsbewegung, aber sonst nicht schlecht. Vorsichtig flog er in Spiralen den Schacht hinunter. Es war, als ob er in den Bauch eines riesigen Tieres käme.
Niemals zuvor war er in einem so gigantischen Innenraum gewesen. Mächtige Pfeiler reichten vom Boden bis zur gewölbten Decke. Dunkel glühten hohe Fenster in den Wänden. Kälte strich ihm über die Flügel. An langen Ketten hingen Lichter in runden metallenen Haltern und erleuchteten den unteren Teil der
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