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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Mit Marina neben sich schraubte er sich in die Höhe und beobachtete mit Entzücken, wie der menschliche Abfall und der Dreck und die Ratten immer weiter unter ihnen zurückfielen. Er stieg höher und weg von all dem – wie wundervoll es doch war, endlich wieder in der Nacht zu sein, seinem wahren Element.
    „Ich habe gedacht, wir wären am Ende da unten“, sagte Marina. „Ich habe wirklich keinen Ausweg mehr gesehen.“
    „Romulus“, sagte Schatten und wandte sich zu Marina, „er war ein unerwarteter Bundesgenosse, nicht wahr? Genau so, wie Zephir es gesagt hat.“
    Marina schaute ihn erstaunt an, dann nickte sie. „Ja doch, ich denke, vielleicht hast du Recht. Wer hätte das gedacht, dass uns eine Ratte das Leben retten würde?“
    Schatten konnte jetzt den Müllabladeplatz sehen und die Stadt der Menschen auf der einen Seite und dann die Wälder, die sich einladend vor ihnen ausdehnten. Seine Sinne tasteten automatisch den Himmel nach Anzeichen von Goth und Throbb ab.
    „Glaubst du, dass sie immer noch nach uns suchen?“, fragte er Marina.
    „Sie geben so leicht nicht auf, das ist mal sicher.“
    Vielleicht hatten sie sich aber auch entschlossen, schließlich doch allein nach Süden zu fliegen. Oder sie waren von einer dieser Menschen-Maschinen auf der Straße überfahren worden. Im Augenblick gab es jedenfalls keinerlei Anzeichen von ihnen.
    Der Boden war silbern vom Schnee und es war immer noch bitter kalt, aber nicht zu vergleichen mit der Eiseskälte auf den Berggipfeln. Schatten erkannte, wie weit nach Süden sie inzwischen gekommen sein mussten. Wie viele Flügelschläge schon, fragte er sich, und wie viele, die sie noch vor sich hatten?
    „In welche Richtung?“, fragte ihn Marina.
    Schatten schloss die Augen und rief sich die Karte seiner Mutter ins Gedächtnis. Er fing ganz vorne an, um sicher zu sein, dass er nichts verpasste. Mit einem Kloß im Hals sah er, wie der Baumhort in der Ferne verschwand. Der Leuchtturm mit seinem Licht. Und dann die Felsenküste und der schreckliche Ozean, der sich weit in die Finsternis hinein erstreckte. Dann kamen die blendend hellen Lichter der Stadt, der Turm der Kathedrale, das Metallkreuz und ihr Leitstern. Eis und die steinernen Wolfsohren in der Bergkette. Und dann dies hier …
    Wälder, die unter ihm vorbeiglitten. Zwischen den Bäumen schlängelte sich ein ruhig fließender, glasklarer Fluss. Er folgte ihm jetzt flussabwärts, machte jede seiner Windungen mit. Und dann ein Geräusch, ein tiefes Grollen, das immer stärker anschwoll.
    Der Fluss wurde schneller, das Wasser schäumte, hüpfte – und die ganze Zeit verstärkte sich dieses unheimliche Getöse. Er dachte an das Meer und daran, wie die Wellen an die Küste krachten.
    Und …
    Sein letztes Bild zeigte diesen breiten reißenden Strom, der zwischen felsigen Ufern hinabtoste und einen Wasserschleier nach oben sandte. Dann stürzte er sich auf das Wasser zu mit dem Kopf voran, sein Magen schlingerte.
    Er versuchte es Marina zu erklären.
    „Ich verstehe den Teil mit dem Fluss“, sagte sie. „Aber ich bin mir nicht sicher, was das letzte Stück angeht. Sollen wir in das Wasser hineinfliegen? Deine Kolonie liebt offenbar Rätsel, Schatten, das ist alles, was ich dazu sagen kann.“
    „Wenigstens wissen wir, in welche Richtung wir müssen. Hibernaculum muss irgendwo in der Nähe sein. Wir sind beinahe da, Marina. Vielleicht nicht weiter entfernt als einen Flug von ein paar Nächten.“
    Er fühlte, wie seine Kräfte wieder erwachten. Sie waren schon so weit gekommen. Sie würden schließlich auch noch den Rest schaffen. Er richtete seine Flügel aus und schoss auf den Wald zu, um nach dem Fluss zu suchen.
    Und dann brach plötzlich der ganze Himmel zusammen, stürzte auf ihn herab und raubte ihm das Bewusstsein.
    Er erwachte im Dunkeln, wusste nicht, wo er sich befand oder was passiert war. Als Letztes erinnerte er sich daran, dass er vom erstickenden Gewicht der Nacht eingehüllt wurde. Er blinzelte. Wo war er? Es gab keine Sterne, keinen Mond. Er spitzte die Ohren und hoffte, dass er in seinem Inneren ein silbernes Abbild der Welt erhalten würde. Aber von allen Seiten prallten die Echos hart zu ihm zurück.
    Er war in irgendeinem winzigen Raum gefangen, so eng, dass er nicht einmal die Flügel ausbreiten konnte.
    Plötzlich nahm er einen strengen, unangenehmen Geruch wahr und ein schnelles, regelmäßiges Pochen. Zuerst dachte er, es wäre sein eigener rasender Herzschlag. Dann wurde ihm zu

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