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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Königreich liegt in Scherben“, fuhr die Ratte fort. „Er hat kaum eine Vorstellung, was auf der Erde los ist, weil seine Boten unzuverlässig sind und seine Wachen dauernd desertieren, um sich besseren Reichen anzuschließen. Der König verachtet ihn und sagt ihm fast nichts. Er lebt in ständiger Furcht davor, angegriffen zu werden. Von Vögeln, von Fledermäusen. Er hat sogar Angst vor mir. Und ich bin sein Bruder. Ich heiße Romulus.“
    Wenn er der Bruder des Fürsten war, dachte Schatten, wie kam es dann, dass er hinter einem Stein abgeschottet war wie eine Art Ungeheuer?
    „Ich sehe, ihr seid verwirrt“, sagte Romulus. „Wisst ihr, man munkelt, ich sei wahnsinnig.“ Er kicherte herzhaft. „Ich bin nicht fähig zu regieren. Ich bin eine Missgeburt. Jedem erzählt Remus das. So hält man mich hier verborgen, aus dem Weg geräumt. Ich bin der Ältere, und von Rechts wegen müsste ich Fürst sein. Und die einzige Art und Weise, wie Remus an die Macht kommen konnte, war, dass er mich eingesperrt und Geschichten über mich verbreitet hat.“
    Die Ratte machte ein paar Schritte auf die beiden Fledermäuse zu, und instinktiv senkte Schatten den Kopf, bleckte die Zähne und fauchte.
    Erschrocken zuckte Romulus zurück. „Ich habe nicht die Absicht euch zu fressen!“, flüsterte er indigniert. „Habt ihr das etwa angenommen?“
    „Der Gedanke ist uns in der Tat gekommen“, murmelte Marina.
    „Warum hast du uns hierher bringen lassen?“, fragte Schatten. Er wusste nicht, was er von dieser merkwürdigen Ratte halten sollte. Er blickte zum Türstein. Er wusste, dass auf der anderen Seite die Wachen warteten, um sie zum Abfluss zu bringen – falls sie lebend wieder herauskämen.
    „Mach dir um die keine Sorgen“, sagte Romulus. „Sie können kein Wort hören. Und sie wagen es nicht mich zu stören.“ Er machte eine Pause. „Ich weiß, dass ihr keine Spione seid.“
    „Tatsächlich?“
    „Ich weiß, warum ihr hierher nach unten gekommen seid. Man hat euch gejagt.“
    „Woher weißt du das?“, fragte Marina.
    „Ich habe es gesehen! Ich habe die beiden Riesenfledermäuse gesehen, die euch gejagt haben. Ich war oben in der Stadt der Menschen, als ihr in den Rost hinabgeflogen seid. Ich kenne die Welt, wisst ihr – kaum zu glauben, aber wahr.“ Er gestikulierte in dem feuchten Raum herum. „Ich habe nicht mein ganzes Leben hier verbracht. Aber es ist lange her, seit etwas so Aufregendes passiert ist, das kann ich euch sagen. Und ich hätte nie gedacht, dass ich mal eine Gelegenheit erhalten würde, euch so aus der Nähe zu sehen.“
    „Wie meinst du das?“, fragte Schatten.
    „Fledermäuse. Ich habe eine ganze Menge aus der Entfernung gesehen, aber nie von nah genug.“ Seine Barthaare zuckten aufgeregt. „Ich habe ein besonderes Interesse an Fledermäusen, und … darf ich deine Flügel sehen?“
    Schatten begann sich zu fragen, ob Romulus vielleicht doch verrückt war.
    „Ich bleibe hier hinten, ich versprech’s.“
    Unsicher blickt Schatten zu Marina, aber aus irgendeinem Grund hatte er keine Angst mehr vor Romulus. Er verstand zwar nicht, warum die Ratte seine Flügel sehen wollte, aber aus seinen Augen leuchtete eine unschuldige Aufregung, eine brennende Neugier, die Schatten veranlassten ihm zu trauen.
    „In Ordnung“, sagte er. Er breitete die Flügel aus.
    Romulus blieb, wo er war, und betrachtete aufmerksam die ausgespannte Lederhaut. „Könntest du sie nur ein wenig hochheben … ja, danke … und sie nun aufrichten … ah … jawohl …“, sagte er. Er knurrte vor sich hin und murmelte Worte, die Schatten nicht verstand. Nach ein paar Minuten nickte er. „Danke“, sagte er. „Du ahnst nicht, wie wichtig das für mich ist. Vielleicht, wenn ich dir etwas zeige. Schau!“
    Er legte sich jetzt in den Schmutz und streckte die Arme und Beine so weit aus, wie es ging. Schatten schnappte nach Luft. Denn obwohl dieses Tier zweifellos eine Ratte war, spannten sich doch lange Hautfalten zwischen seinen Armen und Hinterbeinen – fast das gleiche lederartige Material, aus dem Fledermausflügel bestehen. Weitere Hautfalten erstreckten sich zwischen seinen Füßen und dem untersetzten Schwanz. Und wenn man genau hinschaute, gab es sogar Stücke einer Membrane zwischen seinem Hals und den Armen.
    „Flügel“, hauchte Schatten überwältigt.
    „Du siehst, warum mein Bruder mich für eine Missgeburt hält“, sagte Romulus. „In seinen Augen bin ich kaum noch eine Ratte.“
    Schatten

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