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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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ärgerlich. „Er ist ein Lügner.“
    „Bin ich das? Dann sage mir mal: Warum sollte ein Gott der Fledermäuse wollen, dass seine Geschöpfe etwas anderes werden? Zotz will, dass wir mächtig werden, wie wir sind. Er will nicht, dass wir Menschen werden.“
    „Ich weiß noch nicht einmal, ob ich das überhaupt glaube“, sagte Schatten. „Vielleicht ist das gar nicht das, was Nocturna mit uns vorhat.“
    Goth lächelte, und es war das Lächeln, das eine Mutter einem sehr kleinen Kind schenkt.
    „Nocturna existiert nicht.“
    Schatten hatte ein Gefühl, als wäre ihm in den Magen geschlagen worden.
    „Oder wenn sie existiert, dann ist sie so gut wie machtlos. Schau dir ihre Geschöpfe an. Sie ducken sich vor allem am Himmel und auf der Erde. Zotz ist allmächtig. Schau mich an!“ Er breitete seine mächtigen Flügel aus, bleckte die Zähne und zog die kräftigen Schultern hoch. „Das ist wahre Macht. Ich fürchte kein Geschöpf. Ich fresse sie. Ratten, Eulen, Fledermäuse. Nicht einmal die Menschen können mir etwas anhaben.“
    Schatten fühlte sich schwach, aber er konnte den Blick nicht von Goth abwenden.
    „Ihr fresst Insekten. Das sind auch Lebewesen, sie sind nur zufällig kleiner als ihr. Und schwächer. Aber das hält euch nicht davon ab sie zu vertilgen, oder? Der wirkliche Grund, warum ihr euch nicht ernährt wie wir, ist einfach. Ihr könnt es nicht. Ihr seid zu klein. Fleisch gibt es da, wo die Macht ist. Wenn ich eine andere Fledermaus fresse, nehme ich die Kraft dieser Fledermaus in mich auf, ich nehme mir die Macht dieser Fledermaus und mache sie zu meiner eigenen. Und ich wachse. Ihr seid hier im Norden mit den Insekten fast verhungert. Du bist es, der wider die Natur lebt. Nicht ich.“
    Schatten war ganz wirr im Kopf vor lauter Zweifeln. Er hatte inzwischen so viele Geschichten gehört, von Frieda, von Zephir, von Schirokko und nun von Goth. Wie sollte er denn wissen, was richtig und was falsch war? Er war ein Knirps, winzig und machtlos. Aber alle Fledermäuse waren winzig im Vergleich zu diesen Riesen. Wie konnten sie jemals hoffen, die Eulen und die Ratten zu schlagen und die Sonne zurückzugewinnen? Er war sogar zu machtlos, um seiner eigenen Kolonie zu helfen und die Silberflügel vor Goth und Throbb zu bewahren.
    „Vielleicht hast du Recht“, sagte er müde zu Goth.
    Marina schaute ihn entsetzt an. „Schatten …“
    „Nein, wirklich, Marina, was ist, wenn sie Recht haben und es sich so verhält? Es gibt Fledermäuse und Eulen und Ratten und Menschen und der Stärkste gewinnt, so einfach ist das. Das Einzige, worauf es ankommt, ist Macht.“
    „Für dich vielleicht“, sagte Marina verächtlich. „Ich hätte es wissen müssen. Dein ganzer Wunsch, etwas über unsere Ringe zu erfahren und die Eulen zu schlagen und zurück an die Sonne zu kommen – das Einzige, worauf du aus bist, ist, groß und wichtig zu sein.“
    „Du bist nicht anders“, schoss er zurück.
    „Was?“
    „Du wolltest das alles genauso wie ich. Du hast deinen Ring und du wolltest glauben, dass du auch etwas Besonderes bist. Dass der Ring etwas bedeutet und du besser bist als alle anderen Glanzflügel. Es ist dasselbe.“
    „Wenigstens habe ich nicht den Wunsch so zu sein wie diese beiden“, sagte sie eisig. „Ich hatte das ganz vergessen, aber das ist es doch, was du mehr als alles andere willst, oder?“
    Schatten schwieg. Er blickte Goth an und sah, wie über dessen Gesicht ein Grinsen huschte.
    „Du könntest wachsen, Schatten“, sagte Goth. Er riss einen Fetzen Vogelfleisch vom Knochen und hielt ihn ihm mit den Zähnen hin. Schatten war überrascht, dass ihm das Wasser im Munde zusammenlief. Sie hatten ihn nicht genügend Insekten vertilgen lassen und es hatte nur wenig Nahrung gegeben während der vergangenen Nächte in den Bergen. Er war so hungrig. Wie würde das Fleisch schmecken? Er fragte sich, ob er danach tatsächlich wachsen würde, sodass er seinen Knirps-Körper ein für alle Mal ablegen konnte.
    „Was kann ein Versuch schon schaden?“, fragte Goth. „Die Vögel sind nicht deine Freunde. Versuch’s, Schatten.“
    „Nein“, sagte er mit einem Blick auf Marina.
    Goth lachte. „Du hast Angst, nicht wahr? Angst davor, dass es dir schmecken könnte.“
    „Nein.“
    Goth verschlang das Fleisch selber und lachte höhnisch.
    Als er den Vogel abgenagt hatte, breitete Goth einen seiner Flügel aus. „Da drunter wirst du schlafen“, sagte er zu Schatten. „Um sicher zu sein, dass du nicht

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