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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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meinen Schulbüchern ins Arbeitszimmer, doch dort war Cathy nicht. Ich fand sie am Esstisch, vor sich eine Schachtel und einen Block. Sie hielt einen rosafarbenen Stift in der Hand und lächelte mir zu, als ich mich ihr gegenüber niederließ. Auf der mit einem rosafarbenen Blumenmuster verzierten Schachtel stand »Korrespondenz« – ganz offensichtlich ein weiteres Mutter-Tochter-Ritual, auch wenn mir nicht klar war, ob es wöchentlich oder täglich stattfand. Während ich so tat, als würde ich in meinen Geschichts-, Politik- und Mathematikbüchern lesen, warf ich Cathy verstohlene Blicke zu. Wie ein Kind bewegte sie die Lippen beim Schreiben – zwang die Worte auf gerade Zeilen und ihr Leben in akkurate Abschnitte. Auch wenn sie bestimmt fünfunddreißig Jahre alt war – und ich selbst im Alter von siebenundzwanzig zu altern aufgehört hatte –, fühlte ich mich wie die ältere Schwester von Alice im Wunderland, die unter einem Baum sitzt und auf ihre jüngere Schwester achtet, damit sie nicht in ein Loch fällt. Doch das war nur eine Illusion. Cathy war meine Wächterin und ich diejenige, die in ein fremdes Land gefallen war. Um eine Brücke zwischen Jennys Welt und der Amelia Street zu errichten, würde ich genauso klug vorgehen müssen wie Alice.
    Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, die Hausaufgabenanweisungen mitzuschreiben. Da ich sowieso nur an James denken konnte, las ich einfach ein paar zufällig ausgewählte Kapitel.
    »Ich bin fertig«, sagte ich nach einer Zeit, die mir wie Stunden vorkam. Cathy hatte vier Briefe geschrieben, die sie in Umschlägen neben sich stapelte und mit runden goldenen Aufklebern versiegelte.
    »Gute Arbeit«, lächelte sie. »Ich rufe dich, wenn ich fertig bin.«
    Ohne darüber nachzudenken, was sie damit meinen könnte, ging ich in Jennys Zimmer, wo ich meine Bücher ablegte. Leise schlich ich mich ins Arbeitszimmer und schloss die Tür. Ich machte kein Licht an, als ich vorsichtig den Telefonhörer abhob und fünf, fünf, fünf, vierundzwanzig, zwölf wählte, wie Weihnachten. Mein Herz hämmerte in meiner Brust, als es am anderen Ende der Leitung zu läuten begann.
    »Ja?« Mitch hatte abgehoben.
    »Könnte ich bitte mit Billy sprechen?«, fragte ich.
    »Wer ist dran?«, wollte er wissen.
    Ich war ein wenig nervös. »Ich bin ein Mädchen aus seiner Schule, aus seinem Englisch-Kurs«, sagte ich, was ja irgendwie der Wahrheit entsprach.
    »Und was willst du?«, brummte Mitch.
    Ich war wie gelähmt. »Ich wollte ihn nach einem Buch fragen«, stotterte ich.
    Mitch lachte. »Bist du sicher, dass du mit Billy sprechen willst?«
    Im Hintergrund konnte ich James hören, der sich nach dem Anrufer erkundigte. Zu meiner unendlichen Erleichterung erklang ein paar Sekunden später seine Stimme an meinem Ohr.
    »Hallo?«
    »Ich verstecke mich im Arbeitszimmer.«
    Es raschelte, als James sich mit dem Telefon so weit wie möglich von Mitch entfernte. »Ich denke, ich sollte dir meine Aufwartung machen«, sagte James. »Deine Eltern um Erlaubnis fragen, mit dir ausgehen zu dürfen.«
    »Ich weiß nicht«, flüsterte ich. »Beim Abendessen werde ich versuchen, das Thema anzusprechen.«
    »Geht es dir gut?«
    »Es ist alles sehr furchteinflößend«, gestand ich. »Ich weiß nie, was ich tun oder wie ich mich verhalten soll, weshalb ich böse Fehler mache.«
    »Ich weiß genau, wie du dich fühlst«, sagte er lachend. »Stell dir mal vor, wie es ist, zu lernen, wie Billy zu sprechen und zu gehen und auf der Couch zu sitzen.«
    Aus dem Flur drang ein Geräusch zu mir ins Zimmer. »Jemand kommt«, flüsterte ich und legte, ohne mich zu verabschieden, auf. Ich hielt den Atem an und stieß einen leisen Schrei aus, als Dan die Tür öffnete.
    »Habe ich dich erschreckt?«, fragte er stirnrunzelnd.
    »Nein.«
    »Deine Mutter ist jetzt fertig, du kannst den Tisch decken.«
    Ich wusste nicht, warum, aber ich war überzeugt, dass nicht ein grober Fauxpas – wie zum Beispiel die eigenen Großeltern nicht zu erkennen – meine Identität verraten würde, sondern eher eine Kleinigkeit, irgendetwas Lächerliches. Zum Beispiel in den falschen Küchenschränken nach dem Geschirr zu suchen. Meiner angekündigten Aufgabe sah ich mit wachsender Verzweiflung entgegen. Doch wundersamerweise bemerkten weder Cathy, die einen Rindereintopf kochte, noch der zeitunglesende Dan meine Ungeschicktheit. Erst als Cathy die Schüsseln zum Esstisch brachte, kam es zu einem Zwischenfall.
    »Keine Sets?«, fragte

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