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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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damit ein weiteres Bild aus meiner Vergangenheit heraufbeschwor – Ahornblätter, so groß wie eine Hand und von einem satten Orange, Mehl auf einem Holztisch, Rauch, der aus einem grauen Steinkamin aufstieg. Ich erschauerte.
    »Als du zu Billy geworden bist«, sagte ich zögernd, »hast du da das Essen genauso geliebt?«, fragte ich ihn.
    Er legte sich auf die Seite, den Kopf in eine Hand gestützt. »Nein«, antwortete er. »Doch ich hätte es tun sollen.«
    Schließlich beschloss James, dass ich meine Büchertasche nicht zu jeder Stunde mitschleppen konnte.
    »Wo ist dein Schließfach?«, fragte er.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Vielleicht steht es in deiner Brieftasche«, schlug James vor. »Da habe ich die Kombination für Billys Schließfach und für sein Fahrradschloss gefunden.«
    Doch in Jennys Brieftasche war nur ihr Schülerausweis, eine offizielle Erlaubnis, das Schulgelände während der Lunchzeit zu verlassen, der Führerschein, eine Telefonkarte und ein sorgfältig gefalteter Zwanzig-Dollar-Schein.
    »Oje.« Ich hielt inne. »Ich weiß nicht einmal, ob meine Mutter mich von der Schule abholt. Was, wenn nicht? Ich habe keine Ahnung, wie ich nach Hause kommen soll, ich kenne den Weg nicht.«
    James lächelte. »Vielleicht müssen wir dann in der Aula übernachten.«
    Gemeinsam gingen wir zum Sekretariat, wo ich Olivia bei ihrem Mittagskaffee störte. James blieb draußen und wartete.
    »Hallo, Miss Thompson.«
    Ich lächelte. »Könnte ich bitte meine Schließfachnummer und die Kombination haben?«
    Olivia starrte mich verblüfft an. »Für die Kirche?«
    »Nun«, sagte ich leise und lehnte mich zu ihr, »ich bin verliebt und seitdem furchtbar vergesslich.«
    Sie lächelte mich ein wenig seltsam an und begann, in einem Notizbuch zu blättern. Sie schrieb mir die Zahlen auf einen Zettel. »Seien Sie bloß vorsichtig mit Ihrem Herzen«, sagte sie scherzhaft. Doch in ihren Augen lag Besorgnis.
    James trug meine Bücher zu dem Schließfach mit der Nummer 113 . Er öffnete es und fand darin einen Stift, einen Frühstücksschokodrink und einen in Papier gepackten Strohhalm. Sechzehn meiner zwanzig Bücher stopfte ich in das kleine Fach.
Romeo und Julia, Jane Eyre, Sturmhöhe
und einen Gedichtband behielt ich bei mir.
    »Warum leihst du dir nichts aus der Bücherei aus?«, fragte ich James.
    »Mitch würde denken, ich hätte den Verstand verloren«, erwiderte er. »Außer ich lege falsche Umschläge darum.«
    »Glaubst du, ich sollte die hier verstecken?«, fragte ich besorgt.
    »Warum solltest du Literatur verstecken?«, wollte James wissen.
    »Du müsstest mal mein Haus sehen.«
    Die Klingel ertönte zu früh. Wir vereinbarten, uns nach der Schule am Parkplatz zu treffen.
    Dem restlichen Unterricht konnte ich kaum folgen, weder der Mathematikstunde noch dem Film über den Zweiten Weltkrieg. Am liebsten hätte ich wieder mit James in Mr. Browns Klassenzimmer gesessen. Nach der Schule wurde ich von Sekunde zu Sekunde besorgter, als er nicht am Parkplatz erschien.
    »Hey«, erklang eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um und sah mich einem kräftigen Mädchen mit Perlen im Haar gegenüber, das mich unverwandt anstarrte. »Gehst du mit Billy Blake?«
    Ich war zu überrascht, um zu antworten.
    »Ich kenn dich nicht«, sagte sie. »Aber du solltest dich von ihm fernhalten.«
    »Warum?«, fragte ich.
    »Er ist ein Junkie, und seine Freunde sind verdammt fiese Typen, darum.«
    Ich starrte ihr nach, als sie ihre Zöpfe über die Schulter warf und energisch davonging.
    Mein Herz klopfte bis zum Hals. Als ich James erblickte, musste ich meine ganze Willenskraft aufwenden, um ihm nicht entgegenzustürzen.
    »Englisch ist nicht das Gleiche ohne dich«, erklärte er. Ich konnte nicht sprechen, Tränen standen mir in den Augen. »Wenn ich dich fragen würde, ob du mit mir ausgehst, würdest du ja sagen?«, fragte James.
    Ich lachte. »Ich war doch schon mit dir im Theater.«
    Er wollte mich küssen, doch im selben Moment gingen zwei Lehrer an uns vorbei.
    »Wer sind Billys Freunde?«, fragte ich. »Ein Mädchen hat mich vor ihnen gewarnt.«
    »Ich schätze, sie haben mich verstoßen«, sagte James. »Sie waren wütend, als ich nicht …« Er wählte seine Worte mit Bedacht. »… als ich nicht mehr zu ihren riskanten Unternehmungen bereit war.«
    Kälte fuhr mir in die Glieder. Auf der anderen Straßenseite stand ein Mann, den die Trauer in einer übelkeiterregenden Wolke umwaberte, selbst auf diese Distanz hin. Er

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