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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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beflügelt, hatte ich versucht, mich noch mehr für seine Braut zu erwärmen und ihr Rezepte ins Ohr zu flüstern, während sie Kekse oder einen Kuchen buk. Ich dachte, ich sei so gütig wie ihre eigene Mutter, bis ein Paket von ihrem Großvater eintraf, in dem sich ein Album mit Mrs. Browns Babyfotos befand. Die zerzausten Locken ihrer Haare und die Grübchen in ihren zarten Händchen trafen mich wie Hagel. Ich konnte sie nicht ansehen, Feigling, der ich war. Ich war nicht ihre Mutter. Ich hatte mir Mr. Brown erwählt. Und er hatte sie genommen.
     
    Jetzt fürchtete ich, dass sich die Regeln meiner Welt wieder ändern würden. Ein Mensch hatte mich gesehen. Vielleicht. Ich saß auf dem abschüssigen Dach von Mr. Browns kleinem Haus, während er und seine Frau unter mir schliefen, blickte zur silbernen Mondsichel auf, die an einem pflaumenblauen Himmel hing, und dachte darüber nach, wie es wäre, wirklich gesehen zu werden. Ich malte mir aus, vor dem jungen Mann zu stehen und ihn so lange auf meine Gestalt blicken zu lassen, wie er wollte. Doch wie tat er das? Hatte er mich irgendwie erwählt? Zwei starke, widersprüchliche Empfindungen stritten in mir: Die eine war die Furcht, von einem Sterblichen gesehen zu werden – als ob man für nackt gehalten wird, auch wenn man weiß, dass man bekleidet ist. Die andere war ein nahezu unbeschreibliches Gefühl der Anziehung – wie Wein, der sich dem Sonnenlicht in langsamem, doch beharrlichem Verlangen entgegenschlängelt. Ich wollte ihn wiedersehen, um mich zu versichern, dass er wirklich dieser seltene Mensch war, der sehen konnte, was anderen verborgen blieb. Nichts hätte mich mehr verstören, nichts mich mehr anziehen können.
     
    Am nächsten Schultag, als dieselbe Klasse Mr. Browns Unterrichtszimmer betrat, stand ich in der hintersten Ecke des Raumes. Ich wollte wissen, ob der Junge auch in meine Richtung blicken würde, wenn er nicht auf die Weltkarte oder die Tafel sehen musste. Still wie Marmor stand ich zwischen dem Fenster und der Schranktür. Ich verhielt mich ruhig, damit nichts, nicht einmal eine Staubflocke auf dem Boden, durch meine Anwesenheit bewegt würde. Und ich beobachtete die Schüler, wie sie einer nach dem anderen hereinstolperten, sich gegenseitig schubsten, lachten und Musik über Kabel in ihren Ohren hörten. Endlich kam der Junge mit dem blassen Gesicht und glitt zu dem Tisch, an dem er zu sitzen pflegte, hinten, in der Mitte.
    Ich bewegte mich immer noch keinen Millimeter und wartete. Der Lärm und das Murmeln ebbten ab, als Mr. Brown zu sprechen anfing. Der Junge saß zurückgelehnt auf seinem Stuhl, seine langen, mit Jeans bekleideten Beine ragten in den Gang hinaus, sein weißes Hemd war an den Armen aufgerollt und hing aus der Hose, seine dunkelgrüne Büchertasche lag unter dem Stuhl. Ich wartete.
    Dann bewegte er sich. Er ließ das Blatt Papier, das gerade zu ihm durchgereicht worden war, absichtlich von seinem Tisch gleiten; ich war mir sicher, dass es vorsätzlich geschah. Als er sich hinabbeugte, um es vom Boden aufzuheben, drehte er den Kopf und sah nach hinten in meine Richtung. Unsere Augen trafen sich, und er lächelte. Ich war schockiert. Auch dieses Mal, auch wenn ich mich so danach gesehnt hatte. Er setzte sich wieder auf und tat so, als studiere er wie die anderen Schüler den Text auf dem Blatt.
    Wie ist das möglich?, dachte ich. Er konnte nicht das sein, was ich war – Licht. Ich hatte noch nie jemanden wie mich gesehen. Es war ausgeschlossen – ein Instinkt sagte mir das. Ich glaubte nicht an Medien, doch vielleicht war dieser seltsame Junge eine Art Seher. Er schien nicht das geringste Interesse daran zu haben, sein Wissen über meine Anwesenheit mit seinen Klassenkameraden oder Mr. Brown zu teilen. Es ergab keinen Sinn, und obwohl ich immer noch nervös und voller Sehnsucht nach ihm war, fühlte ich Ärger in mir aufsteigen. Wie konnte dieser Schornsteinfeger von einem Jungen es wagen, meine Privatsphäre so nebenbei und vollkommen zu erschüttern? Eine sanfte Röte hatte sein Gesicht überzogen, und er sah zum ersten Mal lebendig und gesund aus. Es war, als hätte er mir etwas gestohlen, und aus irgendeinem Grund fühlte ich mich schrecklich gedemütigt. Aufgebracht und ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, stürzte ich aus dem Raum. Auf den Bänken in der ersten Reihe wirbelten ein paar Blätter durch die Luft und segelten auf den Boden.

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    Kapitel 2
    I ch dachte, ich würde mich weit weg

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