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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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verhaltener Stimme.
    Er nahm drei Buchstaben. Eine unnatürliche Stille erfüllte den Raum wie eine Wand, die keine frische Luft hereinließ.
    Stumm spielten wir weiter, bis Dan seinen letzten Buchstaben für das Wort »laufen« eingesetzt hatte.
    »Daddy hat gewonnen«, sagte Cathy und kreiste die Punktezahl unter seinem Namen ein.
    Dan zuckte mit den Schultern. »Glück gehabt.« Er nahm die Pizzaschachtel und die Sodaflasche und sagte: »Ich sollte mal besser losfahren.« Bevor er ging, küsste er Cathy auf die Wange. »Sei dankbar für das, was du hast«, sagte er leise. Cathy sah aus, als bekäme sie kaum Luft.
    »Ich weiß«, flüsterte sie. Er wehte aus dem Zimmer, als würde ihm der Himmel gehören. Ich half Cathy, das Spiel aufzuräumen und die Teller und Becher in die Küche zu tragen.
    »Wie wäre es mit einem Arbeitsabend?«, fragte sie. »Wie früher, als du klein warst. Ich kümmere mich um die Rechnungen, während du deine Hausaufgaben machst.« Sie hielt inne. »Ich vergaß, du hast ja schon alles erledigt.«
    Zu gerne hätte ich mich in meinem Zimmer verkrochen oder heimlich bei Billy angerufen, doch der Gedanke an James machte mich gütig.
    »Ich muss noch ein wenig lesen.«
    Leise gab ich Gott das Versprechen, Cathy ebenso freundlich zu behandeln, wie James es mit Mitch tat.
    Wir setzten uns an den Tisch, ich mit einem Buch, Cathy mit einer in braunes und cremefarbenes Papier eingeschlagenen Schachtel, auf der »Rechnungen« stand. Akribisch überprüfte sie Kontoauszüge und Belege, ordnete sie zu kleinen Stapeln, tippte mit ihrem Stift auf einer Rechenmaschine herum und kritzelte Anmerkungen auf kleine Zettel. Das ist gut, dachte ich. Wir verbrachten einen Abend in angenehmer Zweisamkeit, wie ich es früher mit meiner Heiligen getan hatte.
    Obwohl es mir nahezu unmöglich war, nicht an James zu denken, las ich
Jane Eyre
und blätterte bis zu ihrer Ankunft auf Thornfield vor. Was für eine befreiende Erfahrung, die Seiten nach meinem Willen umblättern zu können! Wie viele Male hatte Mr. Brown ein Buch genau dann geschlossen, wenn ich das nächste Kapitel anfangen wollte. In diesem Moment unterbrach mich Cathys irritierter Ausruf.
    »Was ist das denn?« Sie starrte auf ein Stück Papier. Dann ging sie zum Telefon und wählte. Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Hier ist Cathy. Wo bist du?«
    Sie legte auf und kehrte noch verärgerter zum Tisch zurück. Nach einer Minute klingelte das Telefon erneut.
    »Hallo?« Sie hielt kurz inne und antwortete dann: »Wo bist du? Aha. Warum hast du nicht abgehoben?« Sie zwirbelte die Telefonschnur um ihren Finger und sagte: »Ich bin verwirrt. Ich habe hier zwei Benzinquittungen vom letzten Samstag. Eine für dein Auto und eine für meines. Und am nächsten Tag, als du zu spät auf dem Gemeindefest erschienen bist, hast du gesagt, du hättest noch tanken müssen. An zwei Tagen hintereinander, das kann ja wohl nicht sein.«
    Ich realisierte, dass sie über den Tag sprach, an dem ich in Jennys Körper geschlüpft war.
    »Wie kann die Quittung falsch sein? Sie kommt aus einem Computer.« Sie hielt inne und zerknüllte das Papier in ihrer Hand. »Ich sage, dass ich es nicht verstehe … Nein, das habe ich nicht gesagt.« Pause. »Das meine ich damit nicht.« Während Dan am anderen Ende der Leitung schimpfte, sank ihr Kopf immer tiefer nach unten auf ihre Brust. »In Ordnung«, sagte sie schließlich. »Ich weiß.« Dann legte sie ohne ein weiteres Wort auf und kam zum Tisch zurück.
    »Was liest du?«, fragte sie. Ihr Gesicht war gerötet.
    »Jane Eyre«,
erklärte ich.
    Mit zitternder Hand legte sie die Quittungen zurück in die Schachtel und sagte: »Bin gleich wieder da.«
    Ich musste mich beherrschen, um nicht umgehend zum Telefon zu huschen. Die Vorstellung, James’ Stimme zu hören, war verlockend, doch da kam Cathy schon zurück, einen Nähkorb und ein Hemd über dem Arm. Sie setzte sich auf den Stuhl neben mich, wo sie besser sehen konnte.
    Das Hemd, das sie auf dem Tisch ausbreitete, musste Dan gehören; es war weiß mit langen Ärmeln. Der vierte Knopf von unten fehlte.
    Sie öffnete ein kleines Kästchen mit einer wahren Fundgrube an Knöpfen, in jeder Größe, Farbe und Form. Cathy kramte darin herum, bis sie fündig wurde, und entfernte mit einer Nadel die Fadenreste von Dans Hemd. Dies war etwas, das sich seit meinem Tod kaum geändert hatte. Nadel und Faden. Plötzlich verspürte ich Heimweh. Cathys schmales Handgelenk, ihre schlanken Finger,

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