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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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die sorgfältig einen Stich nach dem anderen ausführten, erinnerten mich an meine Heilige.
    Während ich den Anschein erweckte, als sei ich tief in meine Lektüre versunken, sah ich ihr aus den Augenwinkeln zu. Sie hielt inne, betrachtete das Hemd und straffte den Stoff an der Stelle, an der sie den neuen Knopf annähte. Sie überprüfte die übrigen Knöpfe, die alle bereits ein klein wenig locker saßen. Dann tat Cathy, was auch ich in diesem Moment getan hätte – sie roch an dem Hemd. Ich glaubte, einen leichten Gardeniengeruch wahrzunehmen, auch wenn ich mir das wahrscheinlich nur einbildete. Sie wollte nicht wissen, ob das Hemd frisch war, dazu hätte sie unter den Achseln gerochen. Nein, sie hielt sich den Kragen unter die Nase, blinzelte kurz und schüttelte dann den Kopf, als wolle sie einen Gedanken verjagen. Sie nahm die baumelnde Nadel wieder auf und setzte ihre Arbeit fort.
    »Was passiert in deinem Buch?«, fragte sie nach ein paar Stichen.
    »Jane beginnt sich in den Herrn des Hauses zu verlieben.«
    Sie nickte, als ob sie wegen der vielen Harlequin-Liebesromane, die sie in ihrer Jugend gelesen hatte, genau Bescheid wüsste.
    »Soll ich laut vorlesen?«, bot ich an.
    Cathy lächelte. »Ich habe meiner Großmutter immer vorgelesen, während sie an einem Quilt gearbeitet hat.«
    Ich interpretierte das als ein Ja: »›Waren Sie glücklich, als Sie diese Bilder malten?‹, fragte Mister Rochester plötzlich. ›Ja, ich war glücklich; Malen war von jeher meine größte Freude.‹ – ›Das besagt nicht viel‹«, las ich vor. »›Nach dem, was Sie selbst erzählten, waren Ihre Freuden spärlich genug.‹« Ich warf Cathy einen Blick zu, um zu sehen, ob es sie interessierte, doch ihre Miene ließ nichts erkennen. Unbewegt blickte sie auf ihre Näharbeit. »›Aber zweifellos‹«, fuhr ich fort, »›bewegten Sie sich in einem künstlerischen Traumland, als Sie diese seltsamen Farbkompositionen schufen. Haben Sie lange daran gearbeitet?‹«
    Cathy seufzte, und ich hätte wohl zu einem Gedicht von Byron oder einem Shakespeareschen Selbstgespräch übergehen können, ohne dass sie es bemerkt hätte.
    »›Ich hatte nichts anderes zu tun, und so saß ich in den Sommertagen von morgens bis abends an der Staffelei.‹« Um meine Theorie zu belegen, blätterte ich ein paar Seiten weiter und las einige Zeilen aufs Geratewohl. »›Also habe ich ein Recht auf Freude im zeitlichen Leben – und ich werde sie mir verschaffen, koste es, was es wolle.‹ – ›Dann werden Sie immer tiefer sinken, Sir.‹ – ›Möglich; vielleicht auch nicht, wenn ich süße, frische Freude finde – süß und frisch wie der wilde Honig, den die Biene im Moor sammelt.‹« Irgendetwas in meinen Worten schien Cathys Aufmerksamkeit erregt zu haben. Sie ließ ihre Näharbeit sinken und hörte mir aufmerksam zu. »›Es wird bitter schmecken, Sir.‹ – ›Wie wollen Sie das wissen? Sie haben nie davon gekostet.‹«
    Cathys Blick ließ mich für einen Augenblick verstummen.
    Nur zögernd wagte ich mich an die nächsten Worte: »›Wie ernst und feierlich Sie dreinschauen, und doch wissen Sie so wenig davon wie diese Kamee.‹«
    »Ich glaube, das reicht für heute«, sagte Cathy höflich lächelnd. »Ich habe ein bisschen Kopfweh.« Sauber schnitt sie den Faden ab, verstaute die Nähsachen und stand auf. »Ich komme später noch mal und begleite dich ins Bett.«
    Ich sah ihr nach, wie sie aus dem Zimmer ging, horchte auf das leise Rascheln ihrer Kleider, während sie über den Flur schritt, und wartete auf das Geräusch ihrer sich schließenden Schlafzimmertür. Wie ein Dieb schlich ich zum Telefon.
    Als James abhob, atmete ich erleichtert auf.
    »Bist du allein?«, fragte ich.
    »Nicht direkt«, antwortete er. Es rauschte in der Leitung, während er sich außer Hörweite bewegte. »Jetzt«, sagte er. »Na, irgendwelche Abenteuer erlebt?«
    Ich wollte schon von Jennys versteckten Fotos berichten, schrak jedoch kurz auf, als Cathy in ihrer Dusche das Wasser andrehte.
    »Ich bin schon wieder in Schwierigkeiten«, erzählte James lachend. »Mitch hat mir die Leviten gelesen.«
    »Hat er dich geschlagen?«
    »Nein, er hat nur gesagt, dass ich in seinem Haus keinen Sex haben darf, bis ich achtzehn bin. Und dass es keinen Unterschied macht, dass ich ihn mit Libby erwischt habe.«
    Mein Herz begann aufgeregt zu schlagen. »Warum?«
    James lachte erneut. »Weil Billy ein unverantwortlicher, unreifer, unsensibler … Junge …

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