Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
Vom Netzwerk:
Dein.«
    In Gedanken sah ich das Bild von Abraham, der das Schwert über dem Kopf seines Kindes erhob, und schauderte. Ich schwitzte unter Dans Fingern. Er flehte Gott an, mich zu durchdringen, doch ich war mir sicher, dass Gott kein Interesse daran hatte, mir, dem blinden Passagier in Jennys Kopf, beizustehen. Vielleicht würde man mich austreiben wie einen Dämon, wie Legion, der in eine Schweineherde verbannt wurde. Auf den Himmel konnte ich nicht hoffen.
    »Befreie sie von Falschheit und Eigensinn. Führe sie auf den Weg des Heiligen.«
    Dan und ich sprachen gleichzeitig: »Amen.«
    »Ich bin nicht euer Kind.« Noch bevor ich Dans Gesicht sah, bereute ich meine Worte.
    »Jennifer …« Cathy riss ihre Hand von meinem Rücken. Sie war zu schockiert, um sprechen zu können.
    Dan trat einen Schritt zurück, Cathys Augen flogen von mir zu ihm. Das Tagebuch klebte an meinen Händen, so fest hielt ich es umklammert.
    »Ich fürchte, ihr werdet mir nicht glauben«, sagte ich.
    Dan sprach, als müsse er eine Blasphemie abwehren. »Ob du nun fünf Jahre alt bist oder hundertfünf, wir sind deine Eltern.«
    »Ich meine, dass ich nicht die bin, für die ihr mich haltet.«
    »Sprich nicht so mit deinem Vater.«
    »Cathleen«, sagte Dan drohend. »Ich kümmere mich darum.«
    »Ich kann nicht länger so tun, als sei ich Jenny«, sagte ich.
    Cathy war den Tränen nahe.
    »Eure Tochter …« Ich wusste nicht, wie ich Jennys Verschwinden erklären sollte.
    »Hör sofort auf mit diesem Unsinn.« Dan legte seine Hand erneut auf meinen Kopf, schwerer als vorhin. Das lief nicht gut.
    »Entschuldige dich bei deiner Mutter.« Sein Griff um meinen Kopf verstärkte sich, bis meine Augen schmerzten und meine Kopfhaut juckte.
    »Es tut mir leid.«
    »Dein Wille ist Gottes Wille«, sagte Dan. »Wiederhole das.«
    »Mein Wille ist Gottes Wille«, echote ich gehorsam. Der Druck auf meinem Kopf ließ ein wenig nach.
    »Wahrscheinlich gehört das zum Erwachsenwerden dazu.« Ich versuchte die beiden, so gut ich konnte, zu beruhigen. »Ich fühle mich verändert.«
    Cathy wirkte erleichtert, doch Dan hielt mich immer noch fest, weshalb ich hinzufügte: »Gott näher.«
    »Was meinst du damit?«, fragte er schroff.
    »Ich fühle mich fast wie ein anderer Mensch. Als ob ich einen neuen Namen brauchte. Und ich hatte Angst, ihr würdet mir nicht glauben.«
    Dan versetzte meinem Kopf einen leichten Stoß und gab mich frei. Er griff nach der Bibel und ging im Zimmer auf und ab. »Und da sie sich weigerten, Gott anzuerkennen, lieferte Gott sie einem verworfenen Denken aus, so dass sie tun, was sich nicht gehört: Sie sind voll Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier und Bosheit.«
    Ich war so froh, dass er mich nicht länger berührte, dass ich beinahe laut gelacht hätte, doch ich hielt mich zurück.
    »Voll Neid«, las Dan. »Mord, Streit, List und Tücke, sie verleumden und treiben üble Nachrede, sie hassen Gott.« Staccatoartig ratterte er seine Auflistung herunter. Als er Cathy die Bibel zuschob, war sein Gesicht gerötet. Wie ein Schaf hatte sie immer wieder bestätigend genickt und den Stuhlrand dabei fest umklammert. Der Vers, den Dan für mein Diktat aussuchte, war aus den Ephesern: »Zieht die Rüstung Gottes an, damit ihr den listigen Anschlägen des Teufels widerstehen könnt.«
    Ich hatte die Hälfte des Verses niedergeschrieben, als ich plötzlich merkte, dass ich viel geschwungener schrieb als Jenny.
     
    In der Küche reichte mir Cathy meinen Frühstücksdrink. »Vergiss deine Bibel nicht.« Als ich sie verständnislos anstarrte, fügte sie hinzu: »Du hast doch am Mittwoch immer Bibelstunde, oder?«
    Sie hatte tatsächlich vergessen, dass wir heute nur einen halben Schultag hatten. Ich ging in Jennys Zimmer und nahm ihre Bibel vom Frisiertisch. Dann fiel mir etwas ein. Ich öffnete die unterste Schublade der Kommode, nahm die Polaroidkamera heraus und versteckte sie in meiner Tasche.
     
    Als ich am Arbeitszimmer vorbeikam, erhaschte ich einen Blick auf Dan, der zwei Bücher aus dem Regal nahm und in seiner Aktentasche verstaute. Etwas an der Art, wie er die verbliebenen Bücher im Regal zurechtrückte, machte mich misstrauisch. Auf seinem Schreibtischstuhl lag ein offener Ziehharmonikaordner. Er packte eine abstruse Mischung von Gegenständen in seine Tasche – ich sah ein Klappmesser, einige CD s, einen Packen Briefe, ein gerahmtes Bild und eine Holzplakette, auf der »Handelskammer Vorzügliche Leistung Kleinunternehmen«

Weitere Kostenlose Bücher