Silberlicht
fasste mich sanft am Ellbogen und führte mich die Stufen hinauf. Mein Blick war auf meine Füße gerichtet. Ich konnte den beiden nicht in die Augen sehen. Cathy brachte mich ins Wohnzimmer. Diesmal bot sie mir kein Bad und keine Tablette an. Unruhig schritt sie im Zimmer auf und ab, bis Dan sein leises Gespräch mit Officer Redman beendet hatte.
»Ich weiß nicht, was du dir dabei gedacht hast«, sagte sie, wobei sie eher zu sich selbst zu sprechen schien. Dan stand stocksteif im Raum, doch Cathy lief umher wie ein Tier im Käfig.
»Es ist, als ob ich dich gar nicht kennen würde«, sagte sie.
»Mit wem warst du zusammen?«, fragte Dan.
»Mit einem Freund aus der Schule«, antwortete ich mit dünner Stimme. »Sein Vater ist im Gefängnis.«
»Du wirst keinen Tag länger auf diese Schule gehen«, sagte Cathy. »Und ich werde sie auch nicht auf diese Privatschule schicken«, wandte sie sich an Dan. »Dort gibt es noch mehr Drogen.« Dan warf ihr einen finsteren Blick zu, doch Cathy ließ sich davon nicht beirren. Sie hatte die Arme um sich geschlungen, als wolle sie ihren Körper zusammenhalten. »Sie wird bei mir daheim bleiben.«
Mir wurde eiskalt. »Keine Schule?« Ich war den Tränen nahe.
»Ich werde dich hier unterrichten«, sagte Cathy. »Dwayne und Dotty haben das bei ihrem Sohn genauso gemacht.«
»Cathleen«, sagte Dan warnend.
Sie warf ihm einen wütenden Blick zu. »Dir scheint es vollkommen egal zu sein, was dieser Mann ihr angetan hat.«
Dans Kiefermuskeln verspannten sich. Cathy schüttelte ihre Hände und verschränkte ihre Arme dann so fest, dass man es beinahe hören konnte.
»Ich kann es einfach nicht ertragen, dass du mich anlügst«, sagte sie, und auch wenn sie mich dabei ansah, sah Dan aus, als fühlte er sich ebenfalls angesprochen.
»Es tut mir leid«, sagte ich.
»Wirklich?« Sie blickte mich streng an, und in diesem Moment wünschte ich, einen Weg zu finden, um Mr. Brown aus dem ganzen Schlamassel herauszuhalten, doch mir fiel keiner ein.
»Ich werde dir jetzt die Wahrheit sagen«, sagte ich. »Ich bin bereit.«
Cathy sah aus, als hätte sie Angst vor dem, was sie gleich zu hören bekäme.
»Dieser Junge von heute, das ist der, mit dem ich zusammen bin. Sein Name ist Billy Blake.«
Dan blickte mich wissend an, doch Cathy runzelte nur die Stirn.
»Ihr könnt mich aus der Schule nehmen, wenn ihr wollt«, sagte ich, »aber es wäre falsch, Mr. Brown zu beschuldigen. Bitte verletzt ihn nicht.«
Sobald ich den letzten Satz ausgesprochen hatte, merkte ich, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Die beiden sahen mich misstrauisch an.
»Wir werden darüber nachdenken«, sagte Dan.
Cathy glättete ihr Haar und wischte sich die Hände an ihrem Rock ab. »Ich werde dich nicht aus den Augen lassen«, sagte sie. »Du kommst mit mir zur Frauengruppe.«
Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich damit, für Cathy Melonen zu schneiden, Pfirsiche zu schälen und Geschirr zu spülen. Sie suchte mir einen weißen Strickpullover und einen Rock heraus, die ich widerstandslos anzog.
Wir fuhren zu einem Haus, das fast genauso aussah wie das von Jennys Eltern. Eine Schüssel mit Obstsalat ruhte in meinem Schoß. Jennys Gesicht spiegelte sich in der Frischhaltefolie, blass und verzerrt. Bestimmt hätte sie es gerne fotografiert. Eine Gruppe von Frauen hantierte gesprächig mit Tellern und Schüsseln. Sie alle waren ungefähr in Cathys Alter und trugen ordentlich gebügelte Hosen, Strickjacken mit kleinen Perlenknöpfen, breite Eheringe und flache Schuhe. Sie hießen mich willkommen und sagten, dass sie gerne öfter ein Mädchen aus der Jugendgruppe bei sich hätten. Im Haus war es genauso sauber und aufgeräumt wie bei Cathy, im Hintergrund hörte ich eine Aquariumspumpe, die laut brummte. Ich durfte mich auf einem Stuhl auf der anderen Seite des Raumes niederlassen. Das Aquarium mir gegenüber war so groß wie eine Badewanne und wurde von innen angestrahlt. Es beherbergte rund ein Dutzend Fische, die in dem blauen Licht umherschwammen. Man drückte mir einen Teller mit Essen, eine kleine Spitzenserviette und ein Glas Limonade in die Hand.
Eine dünne Frau mit kurzen schwarzen Haaren, die mich an eine Ballerina erinnerte, sprach das Tischgebet und begann eine Diskussion über Zeitmanagement, doch bald schon schweifte das Gespräch ab. Obwohl mein Magen vollkommen leer war, bereitete mir der Essensgeruch Übelkeit. Selbst von der Limonade wurde mir schlecht. Ich starrte auf das Aquarium
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