Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
Vom Netzwerk:
und ließ mich von den geschmeidigen, blattförmigen Wesen darin hypnotisieren. Ihre Behausung sah so schön und friedlich aus. Doch vielleicht war die Aussicht von innen eine ganz andere.
    »Oh, es tut mir so leid«, zwitscherte eine der Frauen. »Wie geht es deiner Mutter?«
    »Sie wird es überstehen«, antwortete eine rothaarige Frau.
    Es lag noch ein weiterer Geruch in der Luft, der nicht vom Essen kam. Blumen. Ich entdeckte eine Schale mit weißen Blüten auf dem Couchtisch.
    »Am Samstag ist die Beerdigung.«
    Immer noch beobachtete ich die Fische, wie sie ihre endlosen Bahnen durchs Wasser zogen.
    »Über wen redet ihr?«, fragte jemand.
    »Elaines Vater ist jetzt im Himmel«, sagte Cathy.
    »Nein, in der großen Leere«, verbesserte die Ballerina. »Er war kein Christ.«
    Cathy sah mitfühlend aus, die Rothaarige eher unbehaglich. Es fehlte nicht viel, und sie hätte ihren Teller mit den Melonenbällchen und dem Thunfischauflauf fallen lassen.
    »Nun«, sagte jemand. »das ist eine Schande. Gab es keinen Geistlichen im Krankenhaus?«
    »Er hätte sich nicht erklären können«, sagte die Ballerina. »Er lag im Koma.«
    Ich beugte mich zu Cathy. »Heißt das, dass ihr Vater jetzt in der Hölle ist?«
    Schockiert flüstere Cathy zurück: »Er hat den Herrn nicht in sein Herz aufgenommen, bevor er gestorben ist.« Die Vorstellung, einer der Anwesenden könnte eine so banale Frage aus meinem Munde hören, bereitete ihr Unbehagen. Denn was wäre sie dann für eine Mutter?
    »Wer sagt das?«, fragte ich. Die Ballerina blickte vom anderen Ende des Raumes zu uns herüber. »Woher wollt ihr wissen, dass er Gott nicht in seinem Herzen hatte, bevor er starb?« Aller Augen waren auf mich gerichtet, außer dem Blubbern des Aquariums war kein Laut zu hören. »Warum muss er es unbedingt aussprechen?«, wollte ich wissen.
    »Ich glaube, du verstehst nicht«, sagte die Ballerina.
    »Das glaube ich auch«, erwiderte ich. »Warum muss außer Gott noch jemand hören, wie er sich zu ihm bekennt?«
    »Die Frage ist rein rhetorisch«, sagte die Ballerina. »Er war hirntot.«
    Mein Herz raste. Ich stellte meinen Teller so abrupt auf den Couchtisch, dass zwei Melonenbällchen herunterfielen und träge wie zwei Augäpfel auf der Tischplatte herumrollten. Cathy packte meinen Arm.
    »Sie sagen also, dass Gott nicht mit jemandem sprechen kann, der bewusstlos ist?«, forderte ich sie heraus.
    Beunruhigtes Flüstern breitete sich im Zimmer aus. Ich befreite mich von Cathys Hand und blickte empört in die Runde. Als mein Blick erneut auf den Couchtisch fiel, erkannte ich, dass die Blumen künstlich waren – aus Seide und Plastik.
    »Darüber wird nichts in der Bibel gesagt«, erwiderte die Ballerina, als ob dies das Ende der Diskussion bedeuten würde.
    »Wollen Sie damit sagen, dass Gott nur das tun kann, was in der Bibel steht?«, fragte ich weiter. Eine unbändige Kraft hielt mich aufrecht. »Ich hätte gedacht, für Gott gibt es keine Grenzen.«
    Cathy schnappte nach Luft.
    »Gott kann alles tun«, sagte die Rothaarige. »Er weiß alles, und er sieht alles.«
    Fieber verbrannte meine Schläfen. Ich stand auf, und Cathy stieß einen Laut aus, der fast wie ein Schluchzen klang. »Ihr habt keine Ahnung, wie es ist, zu sterben und in den Himmel aufzusteigen oder eben nicht«, sagte ich. »Für wen haltet ihr euch?« Die Frauen starrten mich mit offenen Mündern an. Ich merkte, dass ich immer noch mein Limonadenglas in der Hand hielt. Für einen kurzen Moment war ich versucht, es einfach in die Runde zu werfen. Die Rothaarige schien mir das durchaus zuzutrauen, denn sie hob eine Hand schützend vor ihr Gesicht. Ich setzte das Glas so hart neben den Melonenaugen ab, dass die Hälfte seines Inhalts herausschwappte. »Wie könnt ihr nur so arrogant sein?«, wollte ich wissen. »Ihr habt keine Ahnung, wo ihr Vater jetzt ist.«
    Wieder stieg mir der süße Blumenduft in die Nase, und diesmal erkannte ich, was es war – der Geruch von Gardenien. Er kam weder von den künstlichen Blumen noch von Cathy. Es war der gleiche Duft, den ich an Dans Hemd und in seinem Auto wahrgenommen hatte. Und nun war eine der anwesenden Frauen in dieses Parfüm gehüllt. Jemand aus diesem Zimmer hatte sich an Dans Kleidung gerieben, neben ihm auf dem Beifahrersitz gesessen und den Sicherheitsgurt einrasten lassen.
    »Gott spricht zu uns durch sein Wort«, brachte die Ballerina erschüttert hervor.
    »Gott spricht auch zu mir«, erwiderte ich. Meine Muskeln

Weitere Kostenlose Bücher