Silberlicht
brannten. Ich fühlte mich unbesiegbar. »Jetzt gerade sagt er mir zum Beispiel, dass eine der anwesenden Damen Ehebruch begangen hat.« Prüfend blickte ich in die Gesichter, in der Hoffnung, an den schockierten Mienen ablesen zu können, wer die Schuldige war. Doch leider hatten alle denselben Gesichtsausdruck. »Eine von euch schläft mit dem Ehemann einer anderen. Wäre das nicht ein geeignetes Diskussionsthema?« Hocherhobenen Hauptes spazierte ich nach draußen.
Freudig erregt marschierte ich den Gehsteig entlang, bis ich mich an mein Versprechen erinnerte, nett zu Cathy zu sein. Im Dunkeln lehnte ich mich an ihr Auto und wartete, bis sie aus dem Haus kam.
»Morgen bringe ich dich zu einem Therapeuten«, sagte sie, während sie immer noch hyperventilierte. Ihre Hände zitterten so stark, dass sie den Schlüssel zweimal fallen ließ, bevor sie das Auto starten konnte. Ich saß auf dem Beifahrersitz nur einen knappen Meter von ihr entfernt, doch sie schien weit weg zu sein.
Was hatten diese Frauen gesagt, was mich so in Rage versetzt hatte? Dass dieser Mann, der mit seinem letzten Atemzug nicht den Namen Gottes ausgesprochen hatte, nun in der Hölle schmorte? Keiner meiner Bewahrer hatte in seiner letzten Minute laut zu Gott gesprochen, und doch war ich mir sicher, dass man sie ohne Qualen in den Himmel aufgenommen hatte. Ich selbst hatte unzählige Male nach Gott gerufen, doch vielleicht musste ich die richtigen Worte wählen, wie bei einem Zauberspruch, der exakt formuliert sein muss.
»Gott«, flüsterte ich. Ich schloss die Augen und hielt meine Hände fest umklammert.
»Komm in mein Herz.«
Die Stimme, die gleich darauf ertönte, kam nicht von Gott. Sie gehörte einem Kind, einer Zweijährigen, die furchtbare Angst hatte. Ich kannte das Geräusch. Dann sah ich Wasser, das vor mir eine Treppe hinabrann. Schlamm und Wasser. Ein schreckliches Knirschen ertönte über mir. Ich schmeckte Metall und konnte das Gewicht des kleinen Mädchens auf meiner Hüfte spüren, das sich mit seinen winzigen Fäusten an meiner Schürze festkrallte.
Ein Auto hinter uns hupte. Wie ein Vorhang floss Wasser an der Außenseite des Fensters neben mir hinab. Ich weinte und hämmerte gegen die Scheibe. Unser Wagen kam mitten auf der Straße zum Stehen. Cathy rief mir etwas zu und zog den Sicherheitsgurt enger um mich. Ich kam ein wenig zur Ruhe, und meine Hände kribbelten an der Stelle, an der ich das Fenster getroffen hatte. Ich blickte zu Cathy, die verzweifelt versuchte, eine Nummer in ihr Handy zu tippen. Ich legte eine Hand über den kleinen Apparat.
»Es geht mir gut«, sagte ich.
Entsetzt starrte sie mich an.
Ich schlang die Arme um meinen Körper. Mir war eiskalt. »Ich möchte laufen.«
»Wie bitte?« Sie versuchte mich aufzuhalten, als ich aus dem Auto stieg. Ein Rasensprenger auf dem Grundstück neben uns durchnässte mich bis auf die Haut. Zitternd ging ich den Gehsteig entlang. Cathys Auto piepte, als sie die Fahrertür öffnete.
»Jennifer Ann, komm sofort zurück.« Sie folgte mir in kurzer Entfernung.
Plötzlich fühlte ich erneut Wut in mir aufsteigen und drehte mich nach ihr um. »Du ahnst nicht, was du getan hast.«
»Hör sofort damit auf und steig in den Wagen.« Sie versuchte ärgerlich auszusehen, doch dafür hatte sie zu viel Angst. Das Telefon in ihrer Hand zitterte. Sie versuchte nicht, mich zu berühren. Eine Sarglänge von mir entfernt blieb sie stehen.
»Ihr habt das Leben eurer Tochter zerstört«, sagte ich. »Sie ist weggelaufen, weil sie lieber in einer Zwischenwelt existieren wollte, als bei euch zu bleiben.«
»Was sagst du da? Du bist verrückt.«
»Sie wollte einfach nur ihre Gefühle aufschreiben und Fotos machen …«
»Geht es hier um die Kamera?«
»Hör mir zu!« Ich beugte mich vor und hätte sie am liebsten geschlagen. In Panik versuchte Cathy erneut die Nummer zu wählen, doch sie ließ das Handy auf den Boden fallen, wo es in seine Einzelteile zersplitterte.
Ich stand direkt vor ihr, doch sie versuchte immer noch nicht, mich zu berühren. »Jenny wollte euch gehorchen. Sie hat ihre Gebete gesprochen, gefastet und Bibelsprüche für euch abgeschrieben, bis sie es nicht länger ausgehalten hat. Dann ist sie gegangen.«
Cathy kniete auf dem Gehsteig und umklammerte die Teile ihres Telefons. »Wer ist gegangen?«
»Und ich habe es auch versucht. Ich wollte mich an euer Haus anpassen.« Ich kniete mich neben sie und packte ihren Arm. Ihr Fleisch fühlte sich fremd und
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