Silberlinge
verharrte über seinem Herzen. Ortega riss die Augen weit auf und schnitt eine wütende Grimasse.
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
Es zischte, ich hörte einen dumpfen Einschlag, und ein großer Teil von Ortegas Brust bekam eine Delle. Aus seinem Rücken sprühten rote Tropfen. Gleich darauf war im Stadion ein Knall zu hören, der deutlich tiefer klang als ein Gewehrschuss.
Ortega kreischte schrill und feuerte. Der Schuss riss ein Loch in seine menschliche Hülle, durch das ich nun einen kleinkalibrigen Revolver und eine nichtmenschliche Hand sah. Da ihn selbst ein Schuss getroffen hatte, stand er verdreht und verfehlte mich. Ich hielt es für eine schlechte Idee, einfach abzuwarten und es ihn noch einmal versuchen zu lassen, also warf ich mich zur Seite und versetzte der Morditkugel einen Stoß.
Ortega wich ihr aus. Selbst mit all den Wunden war er noch sehr schnell. Auf seinem Oberschenkel erschien nun ebenfalls ein roter Punkt, und der unsichtbare Scharfschütze traf ihn abermals. Ich hörte Knochen brechen.
Susan warf mir meinen Stab und den Sprengstock herüber und ging auf Ortega los. Sie packte seinen freien Arm, als wollte sie zu einem Hüftwurf ansetzen. Doch der Vampir wand und wehrte sich, und so zog sie ihm nur die Maske herunter, wie man von einer Banane die Schale abpellt. Darunter kam das schleimige, glitschige, schwabbelige Wesen zum Vorschein, das Ortega tatsächlich war. Die Waffe hatte er allerdings nicht fallen gelassen, und nun zielte er abermals auf mich.
Ich rief: » Ventas servitas!« und konzentrierte mich dabei auf den Pitcher’s Mound. Wie von einem Miniaturzyklon mitgerissen, stieg die feine braune Erde hoch und zwang den Vampir, den Kopf abzuwenden und die Augen zu schützen. So verfehlte mich auch sein zweiter Schuss, und ich hatte Zeit, den Sprengstock zu heben.
Der fliegende Dreck behinderte Susan, doch sie wollte ihm unbedingt die Waffe abnehmen. Das war ein Fehler. Ortega kreischte noch einmal, und obwohl er nur noch ein Bein belasten konnte, drehte er sich gewandt um und schleuderte Susan vom Pitcher’s Mound bis in die dritte Sitzreihe hinter der ersten Base. Sie landete mit einem lauten Krachen in den Stuhlreihen.
Weitere Schreie ertönten, und nun drangen etwa ein Dutzend Angehörige des Roten Hofs in ihren wahren Gestalten ins Stadion ein. Einige kletterten über die Mauern, andere hüpften von den oberen Rängen herunter, manche sprangen in Schauern von Glassplittern aus den privaten Logen.
Mit erhobenem Sprengstock drehte ich mich zu Ortega um, nahm meine ganze Willenskraft zusammen und rief: »Fuego!« Ein armdicker Feuerstrahl zischte zu ihm hinüber, doch einer der neu eingetroffenen Vampire versetzte ihm einen Stoß gegen die Schulter und brachte ihn aus der Schusslinie. Der Neuankömmling brannte lichterloh, seine schmierige Haut loderte wie ein Osterfeuer, und er kreischte schrecklich, während er verbrannte.
Ich drehte mich um, als ich hinter mir eine Bewegung spürte. Kincaid rannte über das Spielfeld, schnappte sich das Archiv und raste zum Unterstand. Ein Vampir des Roten Hofs verstellte ihm den Weg, Kincaid zog blitzschnell eine Halbautomatik und verpasste dem Ungeheuer zwei Schüsse zwischen die Augen, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Als der Vampir stürzte, feuerte Kincaid im Vorbeilaufen noch sechs weitere Schüsse in dessen Bauch ab, aus dem rote Fontänen emporschossen. Kreischend und um sich schlagend blieb der Vampir liegen.
»Harry, Achtung!«, rief Thomas.
Sofort sprang ich nach vorn. Hinter mir zischte der Vampir, der mich verfehlt hatte, und setzte nach. Ich drehte mich um und ließ einen weiteren Feuerstoß los, verfehlte ihn jedoch. Der Vampir kam näher, und sein giftiger Speichel spritzte mir ins Gesicht.
Ich war schon einmal mit Vampirgift in Berührung gekommen. Das Zeug wirkte rasend schnell, besonders in großen Mengen. Allerdings hatte ich den Trank eingenommen, um die Wirkung zu unterdrücken, und so brannte es nur auf der Haut. Während der Vampir mich besprühte, sammelte ich mich zu einem weiteren Schuss und entließ den Feuerstoß direkt vor dem schwabbeligen Bauch des Vampirs. Vorn war das versengte Loch faustgroß, im Rücken wie zwei Fußbälle. Mit einem Tritt befreite ich mich von dem hilflos zuckenden Gegner.
Keine zwanzig Meter entfernt bemerkte ich sieben oder acht Vampire, die sich mir schnell näherten. Thomas kam mit einem blitzenden Messer in meine Richtung gerannt und griff einen von hinten an.
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