Silberlinge
die Richtung zu wechseln. Zwei Kugeln schlugen durch die Brandschutztür, während ich rückwärts gegen Sanya stolperte. Der große Mann fing mich auf und drehte uns beide herum, damit sein Rücken mich vor den Kugeln abschirmte. Er zuckte zusammen und grunzte, dann prallten wir gegen die Wand und sanken zu Boden.
Der Wächter würde uns sicher nachsetzen. Im Augenblick näherte er sich wahrscheinlich der Tür in einem Bogen, und sobald er freie Schussbahn hatte, würde er uns niederschießen.
Als ich durch den Spalt unter der Tür seinen Schatten bemerkte, rappelte ich mich eilig wieder auf. Sanya und ich konnten im Augenblick nicht viel tun, außer in Deckung zu bleiben.
Michael jedoch marschierte, Amoracchius kampfbereit erhoben, an uns vorbei, sprang los und trieb mit beiden Händen das Schwert fast bis zum Heft durch die geschlossene Stahltür.
Drüben ertönten Schüsse, während Michael die blutige Klinge zurückzog und ebenfalls neben der Tür in Deckung ging. Zwei weitere Schüsse, dann verstummte die Waffe. Kurz danach sickerte Blut durch den Türspalt zu uns herüber.
»Er hat Sie getroffen«, sagte ich zu Sanya.
Michael hatte bereits reagiert und stand hinter dem Russen, tastete dessen Rücken ab und hielt brummend ein kleines, glänzendes Stück Metall hoch, wahrscheinlich die Kugel. »Sie ist auf eine Verstärkung geprallt, die Weste hat gehalten.«
»Es lebe der Fortschritt«, keuchte Sanya unter Schmerzen.
»Sie hatten Glück, dass die Kugel vorher die Stahltür durchschlagen hat«, murmelte ich. Dann bereitete ich einen Schild vor und drückte die Tür langsam auf.
Der Wächter lag auf dem Boden, Michaels Schwertstoß hatte ihn in Oberbauch getroffen und wahrscheinlich eine Arterie durchtrennt. Er war schnell gestorben. Die Waffe hatte er noch in der Hand, den Zeigefinger am Abzug.
Sanya und Michael folgten mir, Ersterer mit dem Gewehr in der Hand. Sie passten auf, während ich mich bückte und den Mund des toten Wächters öffnete. Er hatte keine Zunge. »Einer von Nikodemus’ Männern«, sagte ich leise.
»Hier stimmt etwas nicht«, warnte Michael uns. Das Blut tropfte von seiner Schwertspitze auf den Boden. »Ich spüre ihn nicht mehr.«
»Kann er auch dich spüren, so wie du ihn spürst? Weiß er vielleicht, dass wir uns ihm nähern?«
Michael zuckte mit den Achseln. »Gut möglich.«
»Er ist vorsichtig.« Ich erinnerte mich noch genau, wie Nikodemus auf Shiros Erscheinen reagiert hatte. »Er geht kein Risiko ein und stellt sich nicht zum Kampf, wenn er nicht sicher ist, dass er gewinnt. Lieber läuft er weg.« Ich richtete mich auf. »Kommt weiter, wir müssen zur Kapelle.«
Bevor ich die Tür der Kapelle erreichte, flog sie auf. Zwei weitere Männer kamen heraus und schoben Magazine in ihre Maschinenpistolen. Einer blickte nicht rechtzeitig auf und bemerkte mich nicht sofort, deshalb packte ich meinen Stab mit beiden Händen, versetzte ihm einen Stoß vor die Stirn und legte mein ganzes Gewicht hinein. Sein Kopf flog zurück, und er ging zu Boden. Der zweite Wächter wollte die Waffe auf mich richten, doch ich schlug den Lauf mit einer seitlichen Bewegung meines Stabes weg und drosch ihm das Ende mit voller Wucht auf die Nase. Bevor er sich von dem Schreck erholen konnte, schlug Sanya ihn mit dem Kolben seiner Kalaschnikow nieder. Er stürzte mit offenem Mund auf seinen Kollegen. Auch er hatte keine Zunge.
Ich stieg über die beiden hinweg und betrat die Kapelle.
Es war ein kleiner, bescheidener Raum, auf jeder Seite nur zwei Bänke mit jeweils drei Plätzen, dazu eine Kanzel, ein Tisch und gedämpftes Licht. Der Ort war nicht mit den Insignien einer bestimmten Religion geschmückt, denn er sollte den spirituellen Bedürfnissen der Reisenden aus aller Herren Länder dienen.
Auf die Wände hatte jemand Symbole gemalt, die jenen der Denarier ähnelten. Sie waren mit Blut gezeichnet und noch feucht. Die Kanzel lehnte an der hinteren Wand, der Tisch stand schräg davor. Links und rechts daneben waren Stühle aufgestellt, auf denen neben brennenden Kerzen kleine Knochenstücke lagen. Auf einem stand eine gravierte Silberschale, die fast völlig mit frischem Blut gefüllt war. Ein schwerer, süßer Geruch erfüllte den Raum. Der berauschende Rauch der Kerzen hing schwer in der Luft. Vielleicht enthielten sie Opium, was die langsame Reaktion der Wächter erklären mochte. Die Kerzen warfen ein gedämpftes Licht auf den Tisch.
Darauf entdeckten wir, was von Shiro noch übrig
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