Silberlinge
ergraut. Michael Carpenter schüttelte von seinem Breitschwert, das Amoracchius hieß, das Blut ab und steckte es wieder in die Scheide. Kopfschüttelnd betrachtete er den toten Dämon.
Shiro richtete sich auf, sein Atem ging schnell, aber er keuchte nicht mehr, und trat neben Michael. Er klopfte dem größeren Mann auf die Schulter. »Es musste getan werden.«
Michael nickte. Der kleinere Ritter holte sein Schwert, säuberte ebenfalls die Klinge und steckte es in die hölzerne Scheide.
Unterdessen kam auch der dritte Ritter, der junge Russe, mühsam wieder auf die Beine. Ein Arm hing lahm herab, aber er streckte den anderen aus. Ich nahm seine Hand und zog mich mit weichen Knien hoch.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte er leise.
»Super«, antwortete ich schwankend. Er zog eine Augenbraue hoch, zuckte mit den Achseln und hob seine Klinge auf.
Allmählich ebbten die Nachwirkungen des Seelenblicks ab, und der Schock und die Verwirrung wichen nacktem Entsetzen. Ich war nicht vorsichtig genug gewesen. Einer von den Bösen hatte mich unverhofft erwischt, und ohne Hilfe hätte er mich getötet. Es wäre sicherlich kein schneller, schmerzloser Tod geworden, vielmehr hätte Ursiel mir sämtliche Gliedmaßen einzeln ausgerissen, und sicher nicht im übertragenen Sinne.
Einer so gewaltigen Ausstrahlung wie auf jener Klippe war ich noch nie begegnet. Jedenfalls nicht aus der Nähe und auf diese persönliche Weise. Mein erster Angriff hatte ihn überrascht und gereizt, aber beim zweiten Mal war er bereit gewesen und hatte mein magisches Feuer abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt. Was Ursiel auch gewesen war, er hatte sich auf einer ganz anderen Ebene bewegt als ein erbärmlicher sterblicher Magier wie ich. Meine geistige Verteidigung ist nicht schlecht, dennoch war er darüber hinweggewalzt wie ein Bagger über eine Bierdose. Das ängstigte mich mehr als alles andere. Ich hatte mich auf dieser übersinnlichen Ebene schon mit zahlreichen Schurken herumgeschlagen, mich aber noch nie so hoffnungslos unterlegen gefühlt.
Natürlich war mir klar, dass es da draußen Wesen gab, die stärker waren als ich. Bisher hatte mich jedoch noch keines davon in einer dunklen Gasse angesprungen.
Zitternd fand ich endlich eine Wand, an die ich mich lehnen konnte, bis mein Kopf etwas klarer wurde, dann ging ich steifbeinig zu Michael. Glassplitter rieselten aus den Falten meines Mantels.
»Harry«, begrüßte Michael mich.
»Ich kann wirklich nicht sagen, dass ich traurig bin, dich hier zu sehen«, erwiderte ich. »Aber hättest du nicht zwei Minuten eher herabspringen und das Ungeheuer köpfen können?«
Normalerweise war Michael immer zu Scherzen aufgelegt. Dieses Mal lächelte er nicht einmal. »Nein, es tut mir leid.«
»Wie habt ihr mich überhaupt gefunden?«
»Wir haben gut aufgepasst.«
Diese Antwort schloss so ziemlich alles ein – vom zufälligen Bemerken meines Autos bis zu einem Engelschor. Die Ritter vom Kreuz waren anscheinend immer zur Stelle, wenn sie irgendwo dringend gebraucht wurden. Manchmal schien der Zufall sich über die Maßen anzustrengen, damit sie im richtigen Augenblick am richtigen Ort auftauchten. Näheres wollte ich lieber nicht wissen. Ich nickte in Richtung des toten Dämons. »Was zum Teufel war das für ein Ding?«
»Das war kein Ding, Harry«, berichtigte Michael mich.
Auch er starrte die Überreste des Dämons an, der inzwischen schimmerte und sich wenige Sekunden später in den Mann verwandelte, den ich im Seelenblick gesehen hatte. Nur dass da sein Kopf nicht einen Meter neben dem Körper gelegen hatte. Ich war erstaunt, dass ein abgetrennter Kopf überhaupt einen Ausdruck haben konnte, doch dieses Gesicht hatte einen. Es war ein unermessliches Entsetzen, und der Mund war zu einem stummen Schrei geöffnet. Das Zeichen, das ich auf der Klippe gesehen hatte, lag wie frischer Schorf auf seiner Stirn, dunkel und hässlich.
Dann schimmerte orangefarbenes Licht, und das Zeichen verschwand. Klimpernd rollte etwas über den Asphalt. Eine Silbermünze, ein wenig größer als ein Vierteldollar, kullerte vom Kopf des Mannes bis vor meine Füße, wo sie liegen blieb. Gleich darauf ging vom Körper ein zischendes seufzendes Geräusch aus, und Bäche von grünschwarzer Pampe strömten heraus. Der Körper sank in sich zusammen, giftige Dämpfe stiegen auf, und schließlich blieb nur noch eine Lache von widerwärtigem Schleim übrig.
»Jetzt reicht’s«, sagte ich, während ich die Pfütze anstarrte und
Weitere Kostenlose Bücher