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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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hatte, warf mich auch physisch durch die Luft. Ich prallte auf einen alten Karton, der mit leeren Flaschen gefüllt war, und hörte unter mir das Glas splittern. Der schwere Ledermantel schützte mich, keine Scherbe bohrte sich in meinen Rücken. Einen Augenblick lang lag ich benommen da. Meine Gedanken waren wie ein hektischer Strudel, den ich weder beruhigen noch kontrollieren konnte. Ich starrte zur Dunstglocke der Stadt unter den niedrigen Wolken hinauf, bis eine winzige Stimme in mir schrie, ich sei immer noch in Gefahr. So kämpfte ich mich auf die Knie, während das Bärenwesen mit einer Pranke eine Mülltonne zur Seite fegte und sich mir näherte.
    Nach dem Seelenblick und dem körperlichen Angriff, der die Verbindung unterbrochen hatte, brummte mir noch immer der Schädel. Ich hob den Sprengstock, beschwor jedes bisschen Willenskraft herauf, das ich in diesem verwirrten Zustand überhaupt aufbieten konnte, sprach das Befehlswort und ließ eine weitere Feuerlanze auf das Bärenwesen los. Dieses Mal hielt es der Ausbruch nicht auf. Die orangefarbenen Augen strahlten stärker, mein Feuer prallte gegen eine unsichtbare Barriere und spielte hellrot um das Wesen. Brüllend tappte es weiter auf mich zu.
    Als ich mich ganz aufrichten wollte, stolperte ich und fiel vor die Füße des obdachlosen Mannes, der sich auf seinen Stock stützte und die Kreatur anstarrte. Einen Moment lang konnte ich sein Gesicht sehen: asiatisch, ein kurzer weißer Kinnbart, buschige weiße Augenbrauen und dicke Brillengläser, hinter denen seine Augen eulenartig groß waren.
    »Laufen Sie weg, verdammt!«, schrie ich ihn an.
    Er nahm nur die Brille ab und reichte sie mir. »Halten Sie das mal.«
    Dann humpelte er mit seinem Stock einen Schritt weiter, bis er sich zwischen mich und das Bärenwesen schieben konnte.
    Brüllend stellte sich das Biest auf die Hinterbeine und ging mit aufgerissenem Maul auf den Weißhaarigen los. Ich konnte nur hilflos zuschauen.
    Der kleine Mann machte zwei Schritte zur Seite und wich wie ein Tänzer mit einer Pirouette aus. Dabei schlug er mit seinem Stock dem Wesen so kräftig aufs Maul, dass die abgebrochenen gelben Zahnstücke nur so flogen. Er vollendete die Drehung und wich den Krallen um weniger als eine Handbreit aus. Jetzt stand er hinter dem Wesen, das sich sogleich mit wütend schnappenden Kiefern zu ihm umdrehte.
    Der Mann wich zurück, entkam den Kiefern um Haaresbreite und zog blitzschnell eine lange Klinge aus seinem Stock, die hell das Licht reflektierte. Es war ein klassisches einschneidiges Katana mit einer meißelförmigen Spitze. Der blitzende Stahl spiegelte sich in den Augen des Wesens, das sich jedoch rechtzeitig duckte. Die Klinge trennte die obersten paar Zentimeter eines Ohrs ab.
    Jetzt schrie das Wesen auf, viel zu laut für die Verletzung, und stieß einen fast menschlich klingenden Klagelaut aus. Es sprang zurück, schüttelte den Kopf und verteilte einen feinen blutigen Sprühregen in der Umgebung.
    In diesem Augenblick fielen mir drei Dinge auf.
    Erstens: Das Wesen achtete nicht mehr auf mich. Juhu. Mir war immer noch schwindlig, und wäre es auf mich losgegangen, dann hätte ich nichts mehr tun können.
    Zweitens: Das Schwert des alten Mannes reflektierte nicht das Licht. Vielmehr ging von dem Schwert selbst ein ruhiger silberner Schein aus, der allmählich heller wurde.
    Drittens: Sogar aus mehreren Metern Entfernung spürte ich noch die Macht des Schwerts. In ihm pulsierte eine tiefe, ruhige Kraft, die so unabänderlich und unerschütterlich war wie die Erde selbst.
    Im ganzen Leben hatte ich bisher nur ein Schwert gesehen, dem eine solche Kraft innewohnte. Allerdings wusste ich, dass es noch einige weitere davon gab.
    »Oii«, rief der kleine alte Mann und fuhr mit starkem Akzent fort: »Ursiel! Lass ihn in Ruhe! Du hast hier keine Macht!« Das Bärenwesen – das offenbar Ursiel hieß – richtete den vieräugigen Blick auf den kleinen Mann und tat etwas Beunruhigendes. Es sprach. Mit leiser, nicht einmal unangenehmer, sondern unerwartet melodiöser Stimme sprach es Worte, die durch Kiefer und Kehle des Bären etwas zischend klangen. »Sieh dich doch an, kleiner Narr. Du bist ein alter Mann, Shiro. Schon bei unserer letzten Begegnung hattest du den Höhepunkt deiner Kraft überschritten. Du kannst mich nicht mehr besiegen.«
    Shiro kniff die Augen zusammen. In einer Hand hielt er das Schwert, in der anderen die hölzerne Scheide. »Bist du hergekommen, um zu reden?«
    Ursiel

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