Silberlinge
materiellen und der geistigen Welt gefährdet. Stellen Sie sich nur das Zerstörungswerk vor und wie viele Leute dabei ums Leben kommen könnten.«
»Warum tragen wir dann nicht zum Frieden bei? Vielleicht könnten wir uns statt zu kämpfen ein paar Perlen und Rüschen besorgen und Schilder anfertigen, auf denen steht: ›Zu viel Blut tut selten gut!‹«
Ortega lächelte amüsiert, doch er wirkte zugleich müde. »Dazu ist es zu spät. Viele meiner Gefährten sind erst zufrieden, wenn Ihr Blut fließt.«
»Ich kann ja was spenden«, bot ich an. »Sagen wir, alle zwei Monate. Sie stellen die Kekse und den Orangensaft.«
Das Lächeln verschwand, als Ortega sich zu mir beugte. »Magier, Sie haben eine Edle unseres Hofs ermordet.«
Aufgebracht antwortete ich: »Der einzige Grund…«
Ortega winkte ab. »Ich sage ja nicht, dass Sie keine guten Gründe hatten. Tatsache ist jedoch, dass Sie in ihrem Heim als Gast und Abgesandter des Rates erschienen sind und sowohl Bianca als auch die getötet haben, die unter ihrem Schutz standen.«
»Sie wird nicht wieder lebendig, wenn Sie jetzt mich umbringen«, erwiderte ich.
»Aber es wird die Rachsucht stillen, die viele meiner Gefährten antreibt. Wenn Sie nicht mehr sind, dann sind die anderen bereit, es mit einer friedlichen Lösung zu versuchen.«
»Verdammt«, murmelte ich und spielte mit der Flasche herum.
»Allerdings…«, überlegte Ortega. Er blickte in weite Fernen. »Es gibt vielleicht noch einen anderen Weg.«
»Welchen denn?«
»Ergeben Sie sich«, erklärte er. »Geben Sie im Duell auf, und ich nehme Sie in Gewahrsam. Wenn Sie bereit sind, mit mir zusammenzuarbeiten, kann ich Ihnen Schutz gewähren.«
»Mit Ihnen zusammenarbeiten?« Mein Magen stürzte ein Stück ab. »Sie meinen wohl, ich soll so werden wie Sie.«
»Das wäre doch dem Tod vorzuziehen«, antwortete Ortega. Er meinte es offenbar ernst. »Es dürfte meinen Gefährten nicht gefallen, aber sie könnten auch nichts dagegen einwenden. Nachdem Sie Bianca das Leben genommen haben, stellen Sie Ihres zur Verfügung.«
»Als einer von Ihnen.«
Ortega nickte. »Als einer von uns.« Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort: »Sie könnten auch Miss Rodriguez mitbringen und so mit ihr zusammen sein. Wenn Sie beide meine Vasallen wären, dann wäre sie keine Bedrohung mehr für Sie.« Er stellte sein Bier ab. »Ich glaube, wir beide sind uns sehr ähnlich, Dresden. Wir spielen nur in verschiedenen Mannschaften.«
Ich rieb mir über den Mund und schloss die Augen. Meine erste Reaktion auf Ortegas Angebot war Abscheu. Die Vampire des Roten Hofs sehen nicht so aus, wie die meisten es sich vorstellen würden. Im Grunde sind sie riesige, unbehaarte Fledermäuse mit glatter, gummiartiger Haut. Sie können sich in die Gestalt von Menschen kleiden, aber ich wusste, was dahinter lauerte.
Ich hatte es gesehen. Genauer, als es mir lieb war. Die Alpträume wollten nicht aufhören.
Nun öffnete ich die Augen wieder. »Ich will Sie etwas fragen.«
»Nur zu.«
»Leben Sie auf einem Anwesen?«
»Casaverde«, antwortete Ortega. »Es ist in Honduras, in der Nähe befindet sich ein Dorf.«
»Ja«, sagte ich. »Dann nähren Sie sich also von den Einwohnern.«
»Nur sehr vorsichtig. Ich liefere ihnen Vorräte, biete ärztliche Betreuung und andere Dinge.«
»Klingt vernünftig«, sagte ich.
»Beide Seiten profitieren davon. Die Dorfbewohner wissen das.«
»Das kann ich mir gut vorstellen.« Ich trank die Flasche aus. »Nähren Sie sich auch von Kindern?«
Ortega runzelte die Stirn. »Was meinen Sie damit?«
Ich gab mir keine Mühe, meinen Zorn zu verbergen. »Genau das, was ich sage. Nähren Sie sich von Kindern?«
»Das ist der sicherste Weg. Je mehr da sind, auf die sich das Nähren verteilt, desto ungefährlicher ist es für jeden Einzelnen.«
»Sie irren sich. Wir sind uns nicht ähnlich.« Ich stand auf. »Sie verletzen Kinder. Wir sind fertig miteinander.«
Jetzt klang auch Ortegas Stimme schärfer. »Dresden, lehnen Sie mein Angebot nicht leichtfertig ab.«
»Das Angebot, mich in ein bluttrinkendes Ungeheuer zu verwandeln, das auf ewig Ihr Sklave bleibt? Warum sollte ich so etwas tun?«
»Es ist der einzige Weg zu überleben«, erklärte Ortega.
Mein Zorn steigerte sich zu heißer Wut, ich fletschte fast die Zähne und knurrte: »Ich dachte, leben bedeutet mehr als bloß zu überleben.«
Darauf veränderte sich auch sein Gesichtsausdruck. Zwar nur für eine Sekunde, aber in dem kurzen
Weitere Kostenlose Bücher