Silberlinge
gefährlich, Harry. Und klug. Mein Vater fürchtet ihn.«
»Beinahe mag ich ihn«, erwiderte ich. »Es ist angenehm, dass mich endlich mal jemand von Angesicht zu Angesicht töten will, statt es indirekt zu versuchen oder mich hinterrücks zu erschießen. Beinahe freue ich mich darauf, einen fairen Kampf auszutragen.«
»Ja, sicher. Theoretisch schon.«
»Theoretisch?«
Thomas zuckte mit den Achseln. »Ortega lebt seit etwa sechshundert Jahren. Das schafft man nicht, indem man zu allen Leuten nett ist.«
»Soweit ich weiß, wird das Archiv sämtliche Tricks unterbinden.«
»Ein Trick ist es nur, wenn er erwischt wird.«
»Wollen Sie mir damit etwa sagen, irgendjemand hat etwas Gemeines geplant?«
Thomas schob die Hände in die Jackentaschen. »Ich sage überhaupt nichts. Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie ihm in den Hintern treten, aber ich werde ganz sicher nichts tun, was die Aufmerksamkeit auf mich lenkt.«
»Sie wollen mitmischen, ohne in die Schusslinie zu geraten. Das ist klug.«
Thomas verdrehte die Augen. »Ich werde Ihnen gewiss keine Bananenschalen unter die Schuhe schieben. Aber erwarten Sie nicht, dass ich Ihnen helfe. Ich will nur dafür sorgen, dass es ein fairer Kampf wird, danach kehre ich in mein Strandhaus zurück.« Er zog die Autoschlüssel aus der Tasche und machte sich auf zum Parkplatz. »Viel Glück.«
»Thomas«, rief ich ihm hinterher, »danke für die guten Wünsche.«
Er hielt inne.
»Aber warum?«, fragte ich.
Der Vampir drehte sich kurz um und lächelte. »Das Leben wäre unerträglich langweilig, wenn wir auf alles eine Antwort wüssten.« Dann ging er zu seinem weißen Sportwagen und stieg ein. Gleich darauf dröhnte kreischende Metal-Musik aus der Anlage, der Motor röhrte, und Thomas fuhr davon.
Ich sah auf die Uhr. Noch zehn Minuten, bis Susan eintreffen würde. Jetzt verließ auch Shiro das McAnnally’s und setzte seine Brille auf. Als er mich bemerkte, kam er herüber und nahm sie wieder ab. »Will Ortega das Duell nicht absagen?«
»Er hat mir ein Angebot gemacht, das ich nicht ablehnen konnte.«
Shiro grunzte. »Im Duell geht es um den Willen. Morgen, gleich nach Sonnenuntergang, im Wrigley Field.«
»In einem Stadion? Warum senden wir es nicht gleich im Abendprogramm?« Ich sah wieder auf die Uhr. »In ein paar Minuten treffe ich mich mit jemandem. Ich gebe Ihnen meine Autoschlüssel, den Wagen hole ich mir dann morgen bei Michael ab.«
»Nicht nötig«, wehrte Shiro ab. »Mac hat mir ein Taxi gerufen.«
»In Ordnung.« Ich steckte die Schlüssel wieder ein.
Shiro stand eine Weile mit geschürzten Lippen schweigend neben mir, dann sagte er: »Ortega will Sie töten.«
»Ja. Ja, das will er.« Ich schaffte es sogar, dabei nicht mit den Zähnen zu knirschen. »Das sagen mir alle, als wüsste ich es nicht längst.«
»Aber Sie wissen nicht, wie.« Shiros rasierter Kopf glänzte im Licht einer Laterne. »Der Krieg ist nicht Ihre Schuld.«
»Das weiß ich«, sagte ich, doch meiner Stimme fehlte die Überzeugungskraft.
»Nein«, erwiderte Shiro, »es ist wirklich nicht Ihre Schuld.«
»Was meinen Sie damit?«
»Der Rote Hof hat im Stillen seit Jahren seine Ressourcen aufgebaut«, erklärte er. »Wie sonst wären sie fähig gewesen, nur ein paar Tage nachdem Sie Bianca besiegt hatten, überall in Europa mit ihren Angriffen zu beginnen?«
Ich runzelte die Stirn.
Shiro zog eine Zigarre aus der Innentasche seiner Jacke, biss das Ende ab und spuckte es aus. »Sie waren nicht der Anlass für den Krieg, sondern nur der Vorwand. Die Roten hätten sowieso angegriffen, sobald sie dazu bereit waren.«
»Nein«, widersprach ich, »so ist das nicht. So gut wie alle Ratsmitglieder, mit denen ich gesprochen habe…«
Shiro schnaubte, riss ein Streichholz an und paffte heftig, um die Zigarre anzuzünden. »Der Rat ist überheblich. Als ob nichts Wichtiges geschehen könnte, solange kein Magier beteiligt ist.«
Für jemanden, der dem Rat nicht angehörte, hatte Shiro dessen Haltung ziemlich präzise beschrieben. »Wenn der Rote Hof einen Krieg will, warum versucht Ortega dann, ihn zu verhindern?«
»Er hielt es für überstürzt«, erklärte Shiro. »Er brauchte mehr Zeit, um sich gründlich vorzubereiten. Das Überraschungsmoment ist verloren. Er wollte ein einziges Mal zuschlagen und sicher sein, dass der Schlag tödlich war.«
Ich betrachtete den kleinen alten Mann. »Heute haben alle Ratschläge für mich. Warum auch Sie?«
»Weil Sie in gewisser Weise ebenso
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