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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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erheblich mehr Menschen kennengelernt, als ich vermutet hätte.
    »Essen«, sagte ich, nachdem ein gebeugter alter Mann Susan auf die Wange geküsst und sich wieder entfernt hatte. »Sonst beiße ich.«
    »Bei dir arbeitet immer nur der Gehirnstamm«, murmelte sie, führte mich aber zu den Tischen, wo ich mir ein winziges Sandwich nehmen konnte. Ich schlang es nicht mit einem Happen herunter, was sicher clever war, weil es mit einem Zahnstocher montiert war. Leider hielt es nicht lange vor.
    »Kau wenigstens mit geschlossenem Mund«, ermahnte Susan mich.
    Ich nahm mir noch eins. »Ich kann da nichts machen, ich genieße eben das Leben, wie es kommt, meine Liebe.«
    »Und vergiss nicht zu lächeln.«
    »Kauen und dabei lächeln? Bin ich Jackie Chan?«
    Anscheinend lag ihr eine scharfe Antwort auf der Zunge, die sie sich jedoch verkniff. Ihre Hand, mit der sie meinen Arm hielt, verkrampfte sich. Ich rang mit mir, ob ich das Sandwich rasch herunterschlingen sollte, um die Hände frei zu haben, entschied mich dann aber für etwas Raffinierteres. Rasch steckte ich es in die Jackentasche, damit ich später noch etwas davon hatte, und folgte Susans Blick.
    Gerade rechtzeitig, um Gentleman Johnny Marcone zu entdecken, der in meine Richtung sah. Er war ein wenig größer als der Durchschnitt und von normaler Statur, sah nicht schlecht aus, war im Grunde aber eher unauffällig. In einem Film hätte er sich in einer Nebenrolle als freundlicher Nachbar gut gemacht. Jetzt, im Februar, hatte er nicht die Bräune eines Freizeitkapitäns, doch die Fältchen um seine hellgrünen Augen hielten sich. Sein Äußeres entsprach genau dem Bild, das er der Öffentlichkeit vermitteln wollte – ein normaler, geachteter Geschäftsmann, der es zu etwas gebracht hatte.
    Allerdings hatte ich vor Marcone mehr Angst als vor jedem anderen Menschen, dem ich je begegnet war. Einmal hatte er ein Messer schneller aus dem Ärmel gezogen, als ein extrem starker Verrückter ein Reifeneisen schwingen konnte. Später an demselben Abend hatte er, im Dunkeln kopfüber aufgehängt, mit einem Messerwurf ein Seil durchtrennt. Marcone war ein Mensch, aber er war nicht normal. Er hatte während eines Bandenkrieges die Kontrolle über das organisierte Verbrechen in Chicago übernommen und sie trotz aller alltäglichen und übernatürlichen Bedrohungen nicht wieder abgegeben. Das hatte er vor allem geschafft, weil er brutaler vorgegangen war als seine Konkurrenten. Unter allen Anwesenden im Raum war Marcone der Einzige, der kein falsches Lächeln aufgesetzt hatte, was ihn jedoch nicht weiter zu stören schien.
    »Mister Dresden«, sagte er. »Und Sie sind wohl Miss Rodriguez. Ich wusste gar nicht, dass Sie ein Kunstsammler sind.«
    »Ich bin der bedeutendste Sammler von samtenen Elvii in ganz Chicago«, erwiderte ich.
    »Elvii?«, fragte Marcone.
    »Der Plural könnte vielleicht auch Elvisses lauten«, gab ich zu, »aber wenn ich das zu oft sage, beginne ich irgendwann, mit mir selbst zu reden und meine Besitztümer ›mein Ssssatz‹ zu nennen, daher benutze ich lieber den lateinischen Plural.«
    Marcone lächelte. Es war ein unnachahmlicher Ausdruck – so lächelt ein Tiger mit vollem Magen, wenn in der Nähe ein Rehkitz spielt. »Ah, ich hoffe, Sie werden heute Abend etwas finden, das Ihrem Geschmack entspricht.«
    »Da bin ich ganz zuversichtlich«, sagte ich. »Irgendein alter Lumpen reicht mir schon.«
    Marcone kniff die Augen zusammen, und ein kurzes, drohendes Schweigen entstand, während er meinen Blick erwiderte. Das konnte er gefahrlos tun, weil wir bereits einmal den Seelenblick gewechselt hatten. Genau deshalb hatte ich auch solche Angst vor ihm. »In diesem Fall würde ich Ihnen raten, bei Ihren Ankäufen besondere Vorsicht walten zu lassen.«
    »Vorsicht, ja. Ich bin die Vorsicht in Person«, erwiderte ich. »Aber wollen Sie das nicht lieber etwas einfacher ausdrücken?«
    »Angesichts Ihrer Beschränkungen würde ich das gern tun«, erwiderte Marcone. »Allerdings bin ich nicht sicher, worüber Sie eigentlich reden.«
    Ich kniff die Augen zusammen und machte einen Schritt auf ihn zu. Susan drückte meinen Arm und ermahnte mich stumm, Zurückhaltung zu üben. Ich senkte die Stimme, bis nur noch Marcone mich hören konnte. »Passen Sie auf – wir könnten damit beginnen, dass einer Ihrer Affen versucht hat, mich in einem Parkhaus auszuschalten. Von da aus können wir gleich zu dem Teil kommen, wo ich angemessen reagiere.«
    Auf seine Reaktion war ich

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