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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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werden Sie auch brauchen, wenn Ihnen jemand die Zähne herausschlägt. Das hier ist ein geliehener Smoking.« In seinen Augen glitzerte ein hässlicher Funke. »Maggies Jüngster.«
    Schaudernd und erschrocken starrte ich ihn an. Meine Mutter hatte Margaret geheißen.
    Und ich war ihr Jüngster? Soweit ich wusste, war ich ein Einzelkind. Allerdings wusste ich herzlich wenig über meine Eltern. Meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben, mein Vater hatte ein Aneurysma bekommen, als ich knapp sechs gewesen war. In einem Album bewahrte ich ein vergilbtes Zeitungsfoto von ihm auf, das während eines Auftritts bei eine Wohltätigkeitsveranstaltung in einer Kleinstadt in Ohio entstanden war. Außerdem besaß ich ein Polaroidfoto von meinem Vater und meiner Mutter. Ihr Bauch war schon ziemlich groß, und sie standen vor dem Lincoln Memorial. Jetzt trug ich den Drudenfuß meiner Mutter am Hals. Er war zerkratzt und verbeult, aber so was passiert nun mal, wenn man ständig damit herumrennt und Werwölfe tötet.
    Das waren die einzigen greifbaren Vermächtnisse meiner Eltern. Ich hatte früher schon Gerüchte gehört, meine Mutter habe sich mit zwielichtigen Gestalten eingelassen. Nichts Konkretes, nur Anspielungen und beiläufige Kommentare. Ein Dämon hatte mir verraten, meine Eltern seien ermordet worden, und dasselbe Wesen hatte auch angedeutet, ich hätte möglicherweise Verwandte. Das hatte ich entrüstet von mir gewiesen und entschieden, der Dämon sei ein elender Lügner. Da Nikodemus und Chauncy für dieselbe Organisation arbeiteten, konnte ich vermutlich auch dem Denarier nicht trauen. Wahrscheinlich log er.
    Und wenn nicht?
    Bringe ihn zum Reden, dachte ich. Horche ihn aus. Ich hatte ja nicht viel zu verlieren. Wissen ist Macht. Vielleicht konnte ich sogar etwas herausfinden, das mir einen Vorteil verschaffte.
    Nikodemus zündete sich die Pfeife mit einem Streichholz an und paffte einige Male. Dabei beobachtete er mich mit einem leisen Lächeln. Er konnte mich mühelos durchschauen. Ich wich seinem Blick aus.
    »Harry… ich darf Sie doch Harry nennen?«
    »Würde es etwas ändern, wenn ich das ablehne?«
    »Es würde mir etwas über Sie verraten«, erwiderte er. »Ich möchte Sie gern kennenlernen und nach Möglichkeit verhindern, dass diese Sache mit einem Besuch beim Zahnarzt endet.«
    Im kalten Wasserstrahl schaudernd, starrte ich ihn an. Die Beule auf meinem Kopf pochte, meine gefesselten Gelenke schmerzten. »Ich muss Sie was fragen – zu welchem verdammten Zahnarzt gehen Sie überhaupt? Professor de Sade? Doktor Mengele?«
    Nikodemus paffte seine Pfeife und betrachtete mich und meine Fesseln. Ein weiterer Mann mit ausdrucksloser Miene kam herein. Er war älter und schmaler als die anderen und hatte volles graues Haar. Er schob einen Servierwagen vor sich her und baute an der Seite, wo ihn keine Spritzer erreichen konnten, einen kleinen Klapptisch auf. Nikodemus fummelte am Kopf seiner Pfeife herum. »Dresden, darf ich offen sprechen?«
    Ich nahm an, auf dem Wagen lagen verschiedene Gerätschaften bereit, die zur Folter eingesetzt werden konnten und mir Angst machen sollten. »Wenn Frankenstein nichts dagegen hat, soll es mir recht sein.«
    Nikodemus beobachtete den Diener, der drei Klappstühle aufbaute und den Tisch mit einem weißen Tuch abdeckte. »Sie sind vielen gefährlichen Wesen begegnet, die im Großen und Ganzen aber überwiegend Idioten waren. Ich versuche, Fehler zu vermeiden, wann immer es möglich ist, deshalb sind Sie auch unter fließendem Wasser gefesselt.«
    »Sie haben Angst vor mir«, stellte ich fest.
    »Mein Lieber, Sie haben drei rivalisierende Anhänger der Kunst getötet, außerdem eine Edle der Vampirhöfe und sogar eine Elfenkönigin. Nicht nur Ihre Gegner, auch Ihre Verbündeten haben Sie schon oft unterschätzt. Diesen Fehler werde ich nicht machen. Ich glaube, Sie könnten Ihre derzeitige Lage sogar als Kompliment auffassen.«
    »Ja«, murmelte ich und blinzelte das eiskalte Wasser aus den Augen. »Ich bin Ihnen sehr verbunden.«
    Nikodemus lächelte. Der Diener öffnete den unteren Kasten des Servierwagens und holte etwas viel Teuflischeres als ein Folterinstrument heraus. Frühstück. Er verteilte das Essen auf dem Tisch. Kartoffelpuffer, etwas Käse, Brötchen, Speck, Würstchen, Pfannkuchen, Toast, Obst. Und Kaffee, mein Gott. Heißer Kaffee. Der Geruch weckte meinen Magen, der sofort in meinem Bauch herumkroch und sich zu überlegen begann, wie wir fliehen und etwas zu

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