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Silberlinge

Silberlinge

Titel: Silberlinge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jim Butcher
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einen Kuss. Einen Zungenkuss. Igitt. Dann stand sie wieder auf, und Nikodemus rückte ihr einen Stuhl zurecht, damit sie sich setzen konnte. »Wie Sie sehen, stehen hier drei Stühle, Dresden. Wollen Sie wirklich nicht mit uns frühstücken?«
    Ich wollte ihm gerade erklären, was er meiner Ansicht nach mit dem dritten Stuhl anfangen sollte, doch der Geruch des Essens hielt mich davon ab. Ich hatte auf einmal einen furchtbaren, schmerzhaften Hunger. Das Wasser wurde noch kälter. »Worauf wollen Sie hinaus?«
    Nikodemus nickte einem der Handlanger zu. Der Mann kam zu mir und zog ein Schmuckkästchen aus der Tasche, öffnete es und hielt es mir hin.
    Ich keuchte übertrieben. »Ist es nicht ein bisschen zu früh dafür?«
    Der Handlanger starrte mich böse an, Nikodemus lächelte. In dem Kästchen lag eine alte Silbermünze, ähnlich derjenigen, die ich in der Gasse hinter dem Krankenhaus gesehen hatte. Allerdings war sie mit einem anderen Symbol geprägt.
    »Sie mögen mich. Sie mögen mich wirklich«, sagte ich wenig begeistert. »Soll ich mich Ihrem Club anschließen?«
    »Das müssen Sie nicht, wenn Sie nicht wollen«, erwiderte Nikodemus. »Ich möchte nur, dass Sie auch unsere Seite hören, ehe Sie sich entscheiden, in einen sinnlosen Tod zu gehen. Nehmen Sie die Münze, und frühstücken Sie mit uns. Wir können uns unterhalten. Wenn Sie danach immer noch nichts mit uns zu tun haben wollen, dürfen Sie gehen.«
    »Sie würden mich einfach gehen lassen. Aber klar.«
    »Wenn Sie die Münze nehmen, kann ich Sie vermutlich sowieso nicht mehr aufhalten.«
    »Wer sagt denn, dass ich mich nicht gegen Sie wende?«
    »Niemand sagt das«, erwiderte Nikodemus. »Allerdings glaube ich fest an das Gute im Menschen.«
    Ausgerechnet er. »Meinen Sie wirklich, Sie können mich überzeugen, mich Ihnen anzuschließen?«
    »Ja«, sagte er. »Ich kenne Sie.«
    »Ach was.«
    »Oh doch. Ich weiß mehr über Sie als Sie über sich selbst.«
    »Was denn, zum Beispiel?«
    »Etwa, dass Sie sich freiwillig für dieses Leben entschieden haben. Sie haben sich zum Beschützer der Menschen ernannt und sich zum Feind all derer erklärt, die den Menschen schaden wollen. Doch Sie sind ein Ausgestoßener in Ihrem eigenen Volk, denn die meisten lachen Sie aus und verspotten Sie. Außerdem leben Sie in einer Bruchbude und verachten Ruhm und Reichtum. Warum tun Sie das?«
    »Ich bin eben ein Anhänger des Taos von Peter Parker«, erklärte ich.
    Nikodemus begriff es nicht, er las wohl keine Marvel Comics. »Das ist alles, was Sie sich selbst gestatten, und ich kenne den Grund.«
    »Na schön. Warum ist das so?«
    »Weil Sie von Ihrer Angst beherrscht werden. Sie fürchten sich, Dresden.«
    »Wovor denn?«, fragte ich.
    »Vor dem, was geschehen könnte, wenn Sie vom rechten Weg abkommen«, sagte Nikodemus. »Vor den Kräften, die Sie einsetzen könnten. Sie haben darüber nachgedacht, wie es wäre, wenn Sie der Welt Ihren Willen aufzwingen. Was Sie dann alles besitzen könnten. Irgendwo und irgendwann haben Sie mit dem Gedanken gespielt, wie es wäre, wenn Sie sich einfach nehmen, was Sie haben wollen. Vor dieser Begierde fürchten Sie sich. Deshalb verlegen Sie sich aufs Dasein eines Märtyrers.«
    Ich wollte es abstreiten, aber ich konnte es nicht. Er hatte recht, oder wenigstens lag er nicht völlig falsch. »An so was denkt doch jeder mal«, antwortete ich betreten.
    »Nein«, widersprach Nikodemus. »Die meisten nicht. Die meisten Menschen denken über so etwas gar nicht nach. Sie kommen nicht auf solche Ideen, weil der durchschnittliche Sterbliche überhaupt nicht die Möglichkeit hat, in den Besitz derart großer Macht zu gelangen. Bei Ihnen sieht das anders aus. Sie mögen so tun, als wären Sie wie die anderen, aber das sind Sie nicht.«
    »Das ist nicht wahr.«
    »Oh doch, es ist wahr«, beharrte Nikodemus. »Auch wenn Sie es nicht zugeben und verleugnen. Sie wollen nicht anerkennen, was Sie sind, deshalb haben Sie ja auch keine Fotos von sich. Und keinen Spiegel.«
    Ich knirschte mit den Zähnen. »In den Punkten, auf die es ankommt, bin ich nicht anders als die anderen. Wir müssen alle die Hosenbeine nacheinander anziehen.«
    »Mag sein«, räumte Nikodemus ein, »aber in hundert Jahren werden Ihre sterblichen Gefährten in der Erde verrotten, während Sie immer noch die Hosenbeine nacheinander anziehen, falls Sie sich nicht die Beine amputieren lassen oder irgendwelche radikalen Veränderungen der Mode mitmachen. Alle Verbündeten und

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