Silbermantel
nicht. Er ist so weit gegangen, dass selbst der Himmel verändert war.«
Ivor schluckte schwer. »Ist das gut?« fragte er den Schamanen, von dem zu erwarten war, dass er hierüber Bescheid wusste. »Ist das gut, Gereint?«
Nach allzu langem Schweigen wiederholte Gereint nur seine Worte: »Das ist eine gewaltige Sache.« Das war es nicht, was Ivor hören wollte. Er blickte auf Tabor herab, der beinahe schwerelos in seinen Armen lag. Er sah die gebräunte Haut, die gerade Nase, die faltenlose, jugendliche Stirn, den zerzausten braunen Haarschopf, der nicht lang genug war, um sich ordentlich zusammenbinden zu lassen, und zu lang, um ihn offen zu tragen – bei Tabor schien das immer wieder zuzutreffen, dachte er.
»O mein Sohn«, flüsterte Ivor wieder und wieder und wiegte ihn in den Armen, wie er es früher getan hatte, vor gar nicht so vielen Jahren.
Kapitel 13
Gegen Sonnenuntergang brachten sie die Pferde in einer kleinen Senke zum Stehen, eigentlich nur eine Vertiefung, hervorgerufen von einer Reihe niedriger Hügel auf der Ebene.
Dave war von all dem offenen Land ein wenig entnervt. Nur der dunkle Strich Pendarans, der sich bedrohlich im Westen erhob, unterbrach die endlose Monotonie der Steppe, und Pendaran war kein beruhigender Anblick.
Die Dalrei dagegen ließen sich dadurch nicht stören; für sie bedeutete dieses offene Gelände auf der nach und nach dunkler werdenden Welt die Heimat. Die Ebene war ihre Heimat, die gesamte Ebene. Seit zwölfhundert Jahren, erinnerte sich Dave.
Levon gestattete ihnen kein Feuer; zum Abendbrot gab es kaltes Eltorfleisch und harten Käse, den sie mit Flußwasser aus ihren Feldflaschen herunterspülten. Es war jedoch schmackhaft, zum Teil deswegen, weil Dave nach dem langen Tagesritt völlig ausgehungert war. Außerdem war er entsetzlich müde, stellte er fest, als er seine Schlafrolle neben der von Torc auslegte.
Übermüdet, verbesserte er sich bald darauf, denn sobald er unter der Decke lag, musste er erkennen, dass der Schlaf nicht über ihn kommen wollte. Stattdessen lag er unter dem weiten Himmel wach, während seine Gedanken rastlos um den vergangenen Tag kreisten.
Tabor war immer noch bewusstlos gewesen, als sie am Morgen losgeritten waren. »Er ist weit fort gewesen«, war das einzige, was der Häuptling zu sagen bereit war, doch seine Augen konnten die Sorge nicht verbergen, selbst in der Dunkelheit, die in Gereints Haus herrschte.
Doch dann war die Frage, wie es Tabor ging, einen Augenblick in den Hintergrund getreten, während Dave seine eigene Geschichte von der nächtlichen Lichtung und der Jägerin erzählte, bis auf den allerletzten Abschnitt, den er für sich behielt. Als er geendet hatte, herrschte Schweigen.
Mit gekreuzten Beinen auf seiner Matte sitzend fragte Gereint: »›Mut ist eine Eigenschaft, die gebraucht werden wird‹ – genauso hat sie es formuliert?«
Dave nickte, erinnerte sich dann, dass die Frage von dem Schamanen kam und antwortete ihm mit einem knurrenden Ja. Daraufhin hatte Gereint sich hin und her gewiegt und lange Zeit monoton vor sich hin gesummt. So lange, dass Dave aufschreckte, als er endlich das Wort ergriff.
»Dann musst du rasch gen Süden reisen, und zwar in aller Stille, denke ich. Es braut sich etwas zusammen, und wenn Silbermantel dich hergebracht hat, dann solltest du bei ihm sein.«
»Der Anlass war nichts weiter als die Feierlichkeiten des Königs«, warf Dave ein. Die Nervosität ließ seine Worte barscher klingen, als sie gedacht waren.
»Möglich«, gab Gereint zu, »doch jetzt erscheinen weitere Fäden.«
Und das war alles andere als wunderbar.
Als er sich auf die Seite drehte, konnte Dave die aufrechte Silhouette Levons vor dem nächtlichen Himmel erkennen. Es war äußerst beruhigend, dass diese stille Gestalt dort Wache hielt. Levon hatte zunächst nicht mitkommen wollen, erinnerte er sich. Die Sorge um seinen Bruder hatte ihn sichtlich stark mitgenommen.
Es war der Häuptling gewesen, der sich mit ungeheurer Entschlossenheit durchgesetzt und die Sache klargestellt hatte. Daheim würde Levon zu nichts nutze sein. Für Tabor war gesorgt. Keineswegs war es ungewöhnlich, dass einer, der die Fastenzeit hinter sich hatte, nach seiner Rückkehr lange schlief. Levon, daran hatte Ivor seinen älteren Sohn gemahnt, hatte es genauso gemacht. Cechtar konnte zehn Tage oder zwei Wochen lang die Jagd leiten – das würde ihm sogar gut tun, nach dem Gesichtsverlust, den er durch sein Versagen vor
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