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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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»Steh auf! Denn ich will dich sehen, ehe du stirbst.«
    Seiner eigenen Sterblichkeit.
    Mit zitternden Gliedern richtete Dave Martyniuk sich auf und stand vor der Göttin mit ihrem Bogen. Er war nicht weiter überrascht, den Pfeil auf sein Herz gerichtet zu sehen, wusste genau, dass er sich nicht erheben würde, um sich vor ihr zu verneigen, wenn der Schaft sich erst in seine Brust gebohrt hatte.
    »Tritt vor.« Eine seltsame, gespenstische Ruhe ergriff von Dave Besitz, als er ins Mondlicht hinaustrat. Er ließ die Axt vor sich zu Boden fallen; sie lag glitzernd im Gras.
    »Sieh mich an.«
    Mit einem tiefen Atemzug hob Dave die Augen und blickte, so gut er konnte, in ihr schimmerndes Gesicht. Sie war schön, sah er, schöner als die Hoffnung.
    »Kein Mann Fionavars«, erklärte die Göttin, »darf Ceinwen bei der Jagd zusehen.«
    Das verschaffte ihm einen Ausweg, aber er erschien ihm billig, seicht, erniedrigend. Er wollte ihn nicht.
    »Göttin«, wandte er sich an sie und staunte über seine eigene Gelassenheit, »ich habe es nicht absichtlich getan, aber wenn es einen Preis zu zahlen gibt, werde ich ihn entrichten.«
    Wind regte sich im Grase. »Es gibt eine andere Antwort, die du hättest geben können, Dave Martyniuk«, sagte Ceinwen.
    Dave schwieg. Plötzlich flog eine Eule hinter ihm aus einem Baum, kreuzte wie ein Schatten die Sichel des Mondes und verschwand. Den dritten Vogel, registrierte er ganz am Rande.
    Dann hörte er die Sehne des Bogens schwirren. Ich bin tot. blieb ihm überraschenderweise Zeit zu denken, ehe sich der Pfeil wenige Zentimeter über seinem Kopf in den Baumstamm bohrte.
    Das Herz tat ihm weh. Alles war ihm zuviel. Er konnte das Zittern des Schaftes spüren; die Federn daran berührten sein Haar.
    »Nicht alle müssen sterben«, schränkte die Grüne Ceinwen ein. »Mut ist eine Eigenschaft, die gebraucht werden wird. Doch du hast geschworen, dass du mir einen Preis zu zahlen bereit bist, und eines Tages werde ich darauf zurückkommen. Vergiß das nicht.«
    Dave sank auf die Knie; seine Beine ließen nicht zu, dass er noch länger vor ihr stand. Solcher Glanz lag in ihrem Gesicht, im Schimmer ihres Haars.
    »Noch eins«, hörte er sie sagen. Er wagte nicht aufzublicken. »Sie ist nicht für dich bestimmt.«
    Damit war selbst sein Innerstes entblößt, und wie hätte es auch anders sein können? Aber dies, dies hatte er bereits von allein entschieden; das wollte er ihr mitteilen. Er mühte sich sehr, die Sprache wieder zu finden.
    »Nein«, bestätigte er. »Ich weiß. Sie gehört Torc.« Und die Göttin lachte. »Hat sie denn keine andere Wahl?« fragte Ceinwen spöttisch und verschwand.
    Kniend legte Dave den Kopf in die Hände. Sein ganzer Körper begann heftig zu zittern. In diesem Zustand befand er sich auch noch, als Torc und Levon kamen, um nach ihm zu sehen.
    Als Tabor erwachte, war er bereit. Es gab keine Verwirrung. Er war in Faelinn, verbrachte hier seine Fastenzeit, und er war wach, weil die Zeit gekommen war. Er sah sich um, öffnete sich, rüstete sich, willkommen zu heißen, was ihn da aufgesucht hatte, seinen geheimen Namen, den Inbegriff seiner Seele.
    Doch da setzte die Verwirrung ein. Er befand sich noch in Faelinn, sogar noch in der gleichen Mulde, aber der Wald hatte sich verändert. Ganz sicher hatte es vor ihm keine Schneise gegeben; so einen Platz hätte er sich niemals ausgesucht. So einen Ort gab es in der Nähe seiner Mulde nicht.
    Dann sah er, dass der nächtliche Himmel eine seltsame Färbung aufwies, und begriff mit ängstlichem Schaudern, dass er immer noch schlief, dass er träumte und sein Totemtier im seltsamen Land seiner Träume finden würde. Das war ungewöhnlich, wie er wusste; gewöhnlich wachte man auf und sah das Totem. Tabor kämpfte, so gut er konnte, gegen seine Furcht an und wartete. Es kam aus dem Himmel herab. Kein Vogel. Kein Falke oder Adler – darauf hatte er gehofft, wie alle anderen – nicht einmal eine Eule. Nein, mit merkwürdig klopfendem Herzen erkannte Tabor, dass die Schneise erforderlich war, damit das Tier landen konnte.
    So geschah es, und zwar so sanft, dass das Gras sich kaum unter seiner Last bog. Ganz still daliegend stellte Tabor sich seinem Tier. Dann sandte er mühevoll, ungeheuer mühevoll, sein Innerstes danach aus, Geist und Seele, nach dem unmöglichen Wesen, das seinetwegen gekommen war. Es gab sie nicht, diese exquisite Kreatur, die dort stand und ruhig zu ihm herüberspähte durch die seltsam getönte Nacht.
    Es

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