Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
Vom Netzwerk:
Reif von ihrer Stirn und legte ihn nieder; dann löste sie ihr Haar, damit es so sei wie damals, als sie einander zum ersten Mal im Hain begegnet waren. Nachdem sie das getan hatte, sprang sie ins dunkle Meer hinaus und starb.«
    Die Sonne stand hoch am Himmel, stellte Dave fest. Irgendwie kam ihm das falsch vor, dass es so war, dass der Tag so hell sein durfte. »Ich denke«, flüsterte Levon, »ich werde eine Weile vorausreiten.« Er trieb sein Pferd zum Galopp an. Dave und Torc sahen einander an. Keiner sagte ein Wort. Die Ebene lag im Osten, der Wald im Westen, die Sonne stand hoch am Himmel.
     
    Levon verbrachte zwei Wacheperioden beim Voraustrupp. Gegen Ende des Tages machte Dave selber sich auf, ihn abzulösen. Bei Sonnenuntergang sahen sie einen schwarzen Schwan, der beinahe direkt über ihren Köpfen in großer Höhe nach Norden flog. Der Anblick erfüllte sie allesamt mit einem unbestimmten, unerklärlichen Unbehagen. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, steigerten sie das Tempo ihres Ritts.
    Während sie weiter in südlicher Richtung vordrangen, blieb Pendaran nach und nach im Westen hinter ihnen zurück. Dave wusste, dass er dort liegen musste, aber als die Dunkelheit sich herabsenkte, war der Wald nicht mehr zu sehen. Als sie für die Nacht haltmachten, waren sie auf allen Seiten nur noch von Grasland umgeben, das sich unter dem verschwenderischen Glanz der sommerlichen Sterne erstreckte, deren Leuchten kaum noch von der letzten schmalen Sichel des Mondes gedämpft wurde.
    Während dieser Nacht sollte es im Mörnirwald zum Kampf zwischen einem Hund und einem Wolf kommen, und noch eine Weile später sollte Colans Dolch mit einem Laut wie von einer Harfensaite aus seiner Scheide gezogen werden, in einer unterirdischen Steinkammer am Ufer von Eilathens See.
     
    Frühmorgens stieg die Sonne rot empor, und mit ihr kam trockene, stechende Hitze auf. Vom Augenblick an, als sie ihre Pferde bestiegen hatten, war die Schar schneller geritten als vorher. Levon erhöhte die Zahl der Männer, welche die Vorhut bildeten, auf vier und ließ sie etwas dichter aufschließen, so dass beide Gruppen einander die ganze Zeit im Auge behalten konnten.
    Am späten Vormittag explodierte hinter ihnen der Berg. So furchtbar erschrocken wie noch nie im Leben, drehten Dave und die Dalrei sich um und erblickten die emporsteigende Flammenzunge, die den ganzen Himmel beherrschte. Sie sahen, wie sie sich aufteilte und die klauenbewehrte Hand bildete, und dann hörten sie das Lachen Maugrims.
    »Die Götter gewähren uns, dass er auf ewig in Banden bleibe«, hatte Levon erst gestern gesagt.
    Ein Irrtum, wie es schien. Dave konnte sich an nichts erinnern, das die Brutalität dieses Gelächters, das mit dem Wind herüberhallte, hätte übertreffen können. Sie waren winzig, ungeschützt, sie waren vor seinen Blicken nicht verborgen, und er war frei. In einer Art Trance sah Dave, dass die Männer der Vorhut in verzweifeltem Galopp zu ihnen zurückritten.
    »Levon! Levon! Wir müssen in die Heimat zurück!« rief einer von ihnen im Näher kommen, Dave wandte sich Ivors Sohn zu, und als er ihn ansah, verlangsamte sich sein Herzschlag, bis er wieder normal war, und wieder staunte er. Levons Gesicht war ausdruckslos, sein Profil wirkte wie aus Stein gehauen, während er sein Augenmerk auf das hohe Feuer über dem Rangat richtete. Doch bei eben dieser Gelassenheit, diesem leidenschaftslosen Akzeptieren fand Dave selbst zu unerschütterlicher Ruhe zurück. Ohne einen einzigen Muskel anzuspannen, schien Levon zu wachsen, aus sich heraus so lange zu wachsen, bis er dem Schrecken am Himmel und im Wind ebenbürtig, ja sogar überlegen war. Und irgendwie überkam Dave in diesem Augenblick die Vorstellung, dass Ivor soeben das gleiche tat, zwei Tagesritte weit nördlich von ihnen, ganz im Schatten dieser zupackenden Hand. Er schaute sich nach Torc um und stellte fest, dass der dunkle Mann seinen Blick erwiderte, und in Tores Augen sah er nicht den unnachgiebigen Widerstand Levons, sondern wilden, ungestümen, leidenschaftlichen Trotz und erbitterten Hass gegen alles, was diese Hand bedeutete, aber keine Furcht.
    Deine Stunde kennt deinen Namen, dachte Dave Martyniuk, und dann kam ihm in jenem schicksalhaften Augenblick noch ein anderer Gedanke: Ich liebe dieses Volk. Die Erkenntnis traf ihn unerwartet, denn Dave war nun einmal, wie er war, beinahe so hart wie früher der Berg. Während er sich bemühte, sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen,

Weitere Kostenlose Bücher