Silbermantel
Pfad, auf dem sie entlangritten, wurde unwegsamer und zwang sie, eine langsamere Gangart einzuschlagen, und dann war er bloß noch ein Trugbild, kein Pfad mehr. Die drei hielten an, schwer atmend inmitten der länger werdenden Baumschatten.
Keiner sagte etwas. Levons Gesicht, sah Dave, war wieder wie zu Stein erstarrt, wenn auch nicht so wie zuvor. Dies erkannte er darin: nicht die Standhaftigkeit, die aus der Entschlossenheit erwächst, sondern eiserne Beherrschung, welche die Muskulatur gefrieren lässt und das Herz, gegen den inneren Schmerz. Den behielt man für sich, dachte Dave, wie er immer gedacht hatte. Der ging keinen anderen etwas an. Doch er konnte Levon nicht lange ins Gesicht sehen; es rührte ihn irgendwie, mehr als alles andere.
Er wandte sich Torc zu, und dort gewahrte er etwas anderes. »Du bist verletzt«, sagte er und richtete den Blick auf das Blut, das aus einer Wunde am Oberschenkel des dunklen Mannes quoll. »Steig ab, wir wollen uns das einmal ansehen.«
Natürlich hatte er keine Ahnung, was hier zu unternehmen war. Es war Levon, froh, dass es etwas zu tun gab, der seine Schlafrolle in Streifen zerriss und die Wunde damit abband, die zwar schlimm aussah, sich aber nach dem Reinigen als nicht tief erwies.
Als Levon endlich damit fertig war, war es dunkel, und sie hatten seit einiger Zeit ein Pulsieren im Walde wahrgenommen, der sie umgab. Was das bedeutete, war ihnen nur zu deutlich klar: Sie spürten den Zorn des Waldes, und er war im Rascheln der Blätter zu hören und im Vibrieren der Erde unter ihren Füßen zu fühlen. Sie befanden sich im Pendaran, und sie waren Menschen, und der Wald kannte kein Verzeihen.
»Wir können hier nicht bleiben!« stellte Torc unvermittelt fest. Seine Worte hallten laut durch die Dunkelheit; zum ersten Mal hörte Dave die Anspannung in seiner Stimme.
»Kannst du gehen?« fragte Levon. »Ich werde es einfach tun«, erwiderte Torc grimmig. »Es ist mir lieber, auf den Beinen und in Bewegung zu sein, wenn wir auf das treffen, was man nach uns aussendet.« Die Blätter raschelten nun lauter, und es schien – oder war das bloße Einbildung? – ein Rhythmus in diesem Laut zu liegen.
»Dann lassen wir die Pferde zurück«, entschied Levon.
»Ihnen wird nichts geschehen. Ich stimme dir zu – ich glaube nicht, dass wir uns heute Nacht schlafen legen können. Wir werden nach Süden marschieren, bis wir auf das stoßen, was –«
»Bis wir wieder draußen sind!« unterbrach Dave ihn mit Nachdruck. »Kommt, ihr beiden. Levon, du hast doch gesagt, dies sei kein böser Ort.«
»Das ist auch nicht erforderlich, um uns zu töten«, sagte Torc. »Horcht.« Es war keine Einbildung; das Rascheln des Laubes lief tatsächlich nach einem Muster ab.
»Wäre es dir lieber«, knurrte Dave, »zurückzugehen und dich mit den Wölfen anzufreunden?«
»Er hat recht, Torc«, stimmte Levon zu. Im Dunkeln war nur sein langes, leuchtendblondes Haar zu sehen. Torc, in Schwarz gekleidet, war beinahe unsichtbar. »Und Davor«, fuhr Levon fort, »du hast vorhin wahrhaft Großes gewoben. Ich glaube, kein Mann im ganzen Stamm hätte so eine Bresche schlagen können. Was immer uns noch bevorsteht, bei dieser Gelegenheit hast du uns das Leben gerettet.«
»Ich hab’ lediglich das Ding geschwungen«, murmelte Dave. Worauf Torc verblüffenderweise laut auflachte. Einen Moment lang verstummten die lauschenden Bäume. Kein Sterblicher hatte seit einem Jahrtausend im Pendaran gelacht. »Du bist«, bemerkte Torc dan Sorcha, »so schlimm wie ich, so schlimm wie er. Keiner von uns kann mit Lob umgehen. Ist dein Gesicht in diesem Augenblick rot, mein Freund?«
Natürlich war es das, Teufel noch mal. »Was denkst du dir eigentlich?« murmelte er. Dann spürte Dave, als ihm die Lächerlichkeit der Situation bewusst wurde, als er Levons belustigtes Schnauben hörte, wie etwas in seinem Inneren sich löste, die Anspannung, die Angst, der Kummer, das alles, und er lachte gemeinsam mit seinen Freunden dort im Wald, den sonst kein Mensch betrat.
Es hielt einige Zeit an; sie waren alle jung, hatten soeben ihre erste Schlacht geschlagen, hatten gesehen, wie neben ihnen ihre Kameraden niedergemetzelt wurden. Ihr Gelächter bewegte sich am Rande der Hysterie.
Levon sorgte dafür, dass sie wieder zu Verstand kamen. »Torc hat recht«, sagte er am Ende. »Wir gleichen einander. In dieser und in anderer Hinsicht. Ehe wir diesen Ort verlassen, möchte ich, dass noch etwas geschieht. Freunde von mir sind
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