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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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umrundete die Stadt in nordöstlicher Richtung und machte sich ganz allein auf den Weg nach Paras Derval.
    Sie traf am späten Vormittag dort ein. Auch hier war alles ganz einfach, inmitten der Hysterie, welche die jäh unterbrochenen Feierlichkeiten in einer überfüllten Stadt hervorgerufen hatten, ein toter König und das Entsetzen über den entfesselten Rakoth. Sie hätte, sagte sie sich, das gleiche empfinden müssen, denn als Shalhassans Erbin hatte sie eine Vorstellung davon, was unweigerlich kommen musste, und sie hatte das Gesicht ihres Vaters gesehen, als er auf den zerborstenen Wachtstein herabgeblickt hatte. Shalhassans furchtsames Gesicht, das sonst niemals seine Gedanken preisgab. Oh, es gab gewiss genügend Grund zu panischer Furcht, aber jetzt noch nicht.
    Sie war auf der Jagd.
    Die Torc des Palastes standen weit offen. Wegen der Beisetzung kamen und gingen so viele Menschen, dass es Sharra ohne Schwierigkeiten möglich war, hineinzuschlüpfen. Sie dachte kurze Zeit daran, zur Grabstätte zu gehen, aber dort würden sich viel zu viele Menschen aufhalten, würde das Gedränge zu groß sein.
    Sie kämpfte gegen die ersten Anzeichen von Erschöpfung an und zwang sich, klar zu denken. Nach der Beisetzung würde die Krönung stattfinden. Das war unvermeidlich; in Kriegszeiten durfte es kein Zaudern geben. Wo? Sogar in Dathai war der Große Saal Tomaz Lals in aller Munde. Mit Bestimmtheit würde sie dort stattfinden.
    Sie hatte ihr ganzes Leben in Palästen verbracht. Kein anderer Attentäter hätte sich mit derart instinktiver Leichtigkeit in dem Gewirr aus Fluren und Treppenhäusern zurechtgefunden. Ja, die Sicherheit, mit der sie dahinschritt, verhinderte sogar, dass sie von irgendjemandem aufgehalten wurde.
    Alles so schrecklich leicht. Sie entdeckte die Musikantengalerie, und sie war nicht einmal verschlossen. Das Schloss hätte sie ohne weiteres aufbrechen können; ihr Bruder hatte ihr vor vielen, vielen Jahren gezeigt, wie man das machte. Sie trat ein, setzte sich in einen dunklen Winkel und bereitete sich innerlich darauf vor, zu warten. Hoch droben im Schatten konnte sie auf die Diener herabschauen, die Gläser und Karaffen bereitstellten, große Platten mit Speisen und bequeme Sessel für den Adel.
    Ein recht schöner Saal, räumte sie ein, und die Fenster waren in der Tat etwas Seltenes und Besonderes. Aber Larai Rigal gefiel ihr besser. Nichts kam den Gärten gleich, die sie so gut kannte. Die Gärten, die sie vielleicht nie wieder sehen würde. Zum ersten Mal, seit sie, so unglaublich es auch sein mochte, hier hereingelangt war und bloß noch zu warten brauchte, schlich sich die Furcht auf heimtückische Weise wie eine dünne Ranke in ihre Gedanken ein. Sie verscheuchte sie. Indem sie sich vorbeugte, schätzte sie den Sprung ab. Er war tief, tiefer hinab als der von hochgelegenen Ästen vertrauter Bäume, aber er war zu schaffen. Er musste zu schaffen sein. Und er würde ihr Gesicht sehen, wenn er starb, und wissend sterben. Sonst hatte alles keinen Sinn.
    Ein Geräusch ließ sie hochschrecken. Sie presste sich rasch wieder in ihren Winkel und hielt den Atem an, als sechs Bogenschützen durch die unverschlossene Tür drängten und sich auf der Galerie verteilten. Die war sowohl breit, als auch tief; sie wurde nicht gesehen, obwohl einer der Männer ihr sehr nahe war. Schweigend kauerte sie in ihrem Winkel und erfuhr, indem sie ihre leise Unterhaltung verfolgte, dass an jenem Tag mehr als nur eine schlichte Krönung vorgesehen war, und dass es in diesem Saal noch andere gab, die nach jenem Leben trachteten, auf das sie selber Anspruch erhoben hatte.
    Es blieb ihr ein Augenblick Zeit, über das Wesen dieses zurückgekehrten Prinzen nachzudenken, über Aileron, der es fertig brachte, Männer mit dem Auftrag hierherzuschicken, auf sein Kommando hin seinen einzigen Bruder umzubringen. Ganz kurz gedachte sie Marlens, ihres eigenen Bruders, den sie geliebt hatte und der tot war. Allerdings dachte sie nur für kurze Zeit an ihn, denn derartige Gedanken waren im Hinblick darauf, was sie nach wie vor und ungeachtet dieser neu aufgetretenen Erschwernis zu tun hatte, viel zu zärtlich. Es war bis zu diesem Punkt ganz leicht gewesen, sie hatte nicht das Recht, überhaupt kein Hindernis zu erwarten.
    Während der dann folgenden Ereignisse wurde ihr Vorhaben jedoch zusätzlich erschwert, denn zehn Männer stürmten durch die zwei Türen der hochgelegenen Galerie; immer zwei auf einmal kamen sie mit blanken

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