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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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werden konnte, »spricht er die Wahrheit.« Alle Blicke richteten sich nach oben. »Die absolute Wahrheit«, fuhr Kevin mit allem Nachdruck fort. »Wir waren neun Mann.«
    »Erinnerst du dich«, fragte Diarmuid seinen Bruder, »an das Buch Nygath, das wir als Knaben gelesen haben?«
    Widerstrebend nickte Aileron.
    »Ich habe die Geheimschrift entziffert«, vertraute ihm Diarmuid heiter an. »Die eine, die wir nie haben enträtseln können. Darin wurden Stufen erwähnt, die Alorre, noch ehe er König wurde, vor fünfhundert Jahren in den Felshang von Cathal gehauen haben soll. Wir haben den Fluss überquert und sind mit ihrer Hilfe hinaufgeklettert. Das ist nicht ganz so töricht, wie es sich anhört – ein überaus nützlicher Übungsfeldzug war das. Und mehr.«
    Sie hielt den Kopf aufrecht, die Augen auf die Fenster gerichtet. Doch jedes Aufklingen seiner Stimme machte sich in ihrem Innern bemerkbar. Und mehr. Ist ein Falke kein Falke mehr, wenn er nicht allein fliegt?
    »Wie habt ihr den Fluss überquert?« fragte Herzog Niavin von Seresh mit einigem Interesse. Nun hatte er sie alle in seinem Bann, sah Kevin; die erste ungeheuerliche Lüge lag nun unter mehreren Schichten verborgen.
    »Mit Hilfe von Lorens Pfeilen und mit einem gespannten Seil, das auf die andere Seite führte. Aber verratet ihm das nicht«, bat Diarmuid fröhlich grinsend, ungeachtet des Dolches in seinem Arm, »sonst erfahre ich bestimmt niemals, wie die Geschichte ausgeht.«
    »Zu spät!« rief jemand hinter ihnen, aus der Mitte des Saals.
    Sie wandten sich alle danach um. Loren stand dort, zum ersten Mal seit dem Übergang angetan mit dem Mantel, der seine Macht zum Ausdruck brachte, gewebt aus zahlreichen Farben, die sich zu Silber vermischten. Und neben ihm befand sich der, der gesprochen hatte.
    »Seht her«, forderte Loren Silbermantel alle auf, »ich bringe euch den Zweimal Geborenen, von dem die Prophezeiung spricht. Hier ist Pwyll, der Fremde, der zu uns zurückgekehrt ist, Herr des Sommerbaums.«
    Ihm blieb kaum Zeit zum Ausreden, da brach auch schon ein ganz und gar unschicklicher Schrei aus der Seherin von Brennin hervor, und eine zweite Gestalt sprang über das Geländer der Galerie über ihren Köpfen und brüllte, noch während des Sprunges, vor Erleichterung und Freude auf.
    Kim war als erste bei ihm und nahm Paul so ungestüm in die Arme, dass es ihm den Atem raubte, und er erwiderte ebenso fest ihre Umarmung. Sie hatte Freudentränen in den Augen, als sie beiseite trat, um Kevin Platz zu machen, so dass er und Paul einander gegenüberstanden. Sie grinste, das war ihr klar, wie eine Närrin.
    »Amigo«, sagte Paul und lächelte.
    »Willkommen daheim«, begrüßte ihn Kevin schlicht, und dann sah der gesamte Adel Brennins in respektvollem Schweigen zu, wie die zwei einander umarmten.
    Mit leuchtenden Augen trat Kevin einen Schritt zurück. »Du hast es geschafft«, sprach er rundheraus seine Vermutung aus. »Du bist die Sache los, stimmt’s?«
    Und Paul lächelte wieder. »So ist es«, bestätigte er.
    Sharra, die alles beobachtete, ohne etwas zu verstehen, von der Gefühlstiefe einmal abgesehen, die diesem Vorgang zugrunde lag, sah nun Diarmuid auf die zwei zugehen und bemerkte die Freude in seinen Augen, die nicht vorgetäuscht war und keine Grenzen kannte.
    »Paul«, wandte er sich an ihn, »das ist ein leuchtender Faden, nach dem niemand Ausschau gehalten hat. Wir hatten um dich getrauert.«
    Schafer nickte. »Es tut mir leid um deinen Vater.« »Für ihn war die Zeit gekommen, denke ich«, entgegnete Diarmuid. Sie umarmten sich gleichfalls, und als sie das taten, wurde die Stille, welche im Saal herrschte, von einem lauten Getöse über ihren Köpfen unterbrochen, als Diarmuids Männer brüllten und mit den Schwertern rasselten. Paul hob die Hand, erwiderte damit diese Ehrenbezeigung.
    Dann änderte sich die Stimmung im Saal, das Zwischenspiel war vorbei, denn inzwischen war Aileron ebenfalls hinzugetreten und stand vor Paul, als Diarmuid beiseite ging.
    Scheinbar eine Ewigkeit musterten die beiden Männer einander, und der Ausdruck ihrer Gesichter war nicht zu deuten Keiner der Anwesenden konnte wissen, was vor zwei Nächten im Götterwald zwischen ihnen vorgefallen war, doch hier im Saal war irgend etwas spürbar, und zwar eine Angelegenheit von ungeheurer Tiefe.
    »Mörnir sei gepriesen«, sagte Aileron und fiel vor Paul auf die Knie.
    Einen Augenblick später war jedermann im Saal, bis auf Kevin Laine und die drei

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