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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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irgendetwas von hinten getroffen hätte.
    Sie taumelte, schaffte es jedoch, stehenzubleiben. Genau wie er, mit ihrem Dolch tief im linken Arm, direkt oberhalb der roten Armbinde. Und dann erhielt sie den langersehnten, schrecklichen Einblick in das, was sich unter seiner gebieterischen Pracht verbarg, denn sie hörte ihn flüstern, so leise, dass ein anderer es unmöglich hören konnte: »Ihr alle beide?«
    Und in jenem Augenblick war seine Maske gefallen.
    Nur eine Sekunde lang, so kurz, dass sie beinahe zu zweifeln begann, dass es sich wirklich so zugetragen hatte, denn unmittelbar darauf lächelte er wieder, ausweichend, alles beherrschend. Mit einem munteren Lachen in den Augen nahm er die Krone, die sein Bruder geworfen hatte, um ihm das Leben zu retten, und legte sie an ihren Platz. Dann schenkte er sich Wein ein und kam zurück, um ihr mit übertriebener Geste zuzuprosten und ihr Haar zu lösen, so dass sie als Frau zu erkennen war, und obwohl ihr Dolch in seinem Arm steckte, kam es ihr so vor, als sei er es, der sie wie ein unbedeutendes Ding in der Hand hielt, und nicht umgekehrt.
    »Alle beide!« rief Coll aus. »Alle beide wollten sie ihn tot sehen, und jetzt hat er sie beide in der Hand. Oh, bei den Göttern, jetzt wird er es tun!«
    »Das glaube ich nicht«, sagte Kevin ganz sachlich. »Ich glaube nicht, dass er das tun wird.«
    »Was?« wollte Coll verblüfft wissen. »Sieh es dir an.«
    »Wir werden diese Dame«, verkündete Diarmuid soeben, »mit allem Respekt behandeln, der ihr zukommt. Wenn ich mich nicht irre, kommt sie als Vorbotin einer Schar von Gesandten Shalhassans von Cathal. Wir fühlen uns geehrt, dass er seine Tochter und Erbin ausschickt, sich mit uns zu beraten.«
    Er machte seine Sache so gut, dass er sie allesamt einen Augenblick lang mitriss und die Tatsachen auf den Kopf stellte.
    »Aber«, platzte Ceredur mit vor Entrüstung hochrotem Gesicht dazwischen, »sie hat doch versucht, Euch umzubringen!«
    »Dazu hatte sie auch allen Grund«, erwiderte Diarmuid ruhig. »Wollt Ihr das wohl erklären, Prinz Diarmuid?« Das war Mabon aus Rhoden, der da voller Ehrerbietung das Wort ergriff, bemerkte Kevin.
    »Jetzt kommt’s«, bemerkte Coll und grinste wieder.
    Jetzt kommt’s, dachte Sharra. Was immer auch passiert, ich will mit dieser Schande nicht leben.
    Diarmuid erklärte: »Ich habe vor vier Nächten eine Blume aus Larai Rigal gestohlen, und die Prinzessin wusste davon. Das war eine unverantwortliche Handlung, denn jene Gärten sind, wie wir alle wissen, ihrem Volke heilig. Es hat den Anschein, als habe Sharra von Cathal die Ehre ihres Landes über das eigene Leben gestellt – eine Haltung, um derentwillen wir ihr wiederum Ehre erweisen müssen.«
    Während eines Moments der Benommenheit wirbelte die ganze Welt um Sharra, dann kam sie wieder ins Gleichgewicht. Sie spürte, dass sie errötete; versuchte auch das unter Kontrolle zu bekommen. Er verschaffte ihr einen Ausweg, ließ ihr die Freiheit. Aber, fragte sie sich da mit klopfendem Herzen, welchen Wert hatte die Freiheit, wenn sie sie nur von ihm zum Geschenk erhielt?
    Sie hatte keine Zeit, diesem Gedanken nachzuhängen, denn Ailerons Stimme schnitt seinem Bruder ebenso jäh das Wort ab, wie Diarmuids Applaus erst vor wenigen Augenblicken seine Rede unterbrochen hatte: »Du lügst«, warf ihm der ältere Prinz kurz und bündig vor. »Selbst du würdest nicht allein wegen einer Blume durch ganz Seresh und Cynan reisen, Thronerbe, der du nun einmal bist, und es wagen, dich ganz ohne Schutz zu bewegen. Treibe keine Spiele mit uns!«
    Diarmuid wandte sich mit hochgezogenen Augenbrauen seinem Bruder zu. »Soll ich«, sagte er mit einer Stimme wie Samt, »lieber dich töten?«
    Eins zu Null, dachte Kevin und sah selbst von seinem hohen Standort aus, wie Aileron daraufhin erbleichte. Und obendrein ein geschicktes Ablenkungsmanöver.
    »Übrigens«, bemerkte Diarmuid wie nebenbei, »bin ich den Flußfesten überhaupt nicht erst nahe gekommen.«
    »Ihr seid wohl geflogen?« warf Jaelle bissig ein. Diarmuid bedachte sie mit seinem gütigsten Lächeln. »Nein. Wir haben den Saeren unterhalb der Daelschlucht überquert und sind am anderen Ufer mit Hilfe der dort angebrachten Haltegriffe wieder hinaufgeklettert.«
    »Das ist unerhört!« knurrte Aileron, der sich wieder erholte. »Wie kannst du in solchen Zeiten lügen?« Ein Raunen erhob sich unter den Versammelten.
    »Zufällig«, rief Kevin Laine nach unten und trat vor, damit er gesehen

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