Silbermantel
Gefährlichkeit.
»Die Gäste vorzustellen? Das hätte ich zu gegebener Zeit getan«, erwiderte Loren leichthin. »Solltet Ihr ungeduldig sein, könnte ich –«
»Zu gegebener Zeit? Ungeduldig? Bei Macha und Nemain, du müsstest für deine Unverschämtheit verflucht werden!« Die rothaarige Frau erstarrte vor Wut. Ihre Augen brannten sich in die des Magiers.
Der jedoch ihrem Blick seelenruhig standhielt. Bis sich eine weitere Stimme in sattem, selbstzufriedenem Ton einmischte. »Ich fürchte, Ihr habt recht, Priesterin«, pflichtete ihr Gorlaes bei. »Unser Reisender hier vergisst tatsächlich manchmal die angemessene Rangfolge. Unsere Gäste hatten Euch heute vorgestellt werden müssen. Ich fürchte –«
»Narr!« fuhr ihn die Priesterin an. »Du bist ein Narr, Gorlaes. Heute? Ihr hättet mich befragen müssen, bevor er diese Reise angetreten hat. Wie konntest du es wagen, Metran? Wie konntest du es wagen, einen Übergang in Angriff zu nehmen, ohne die Mutter um Erlaubnis zu bitten? Das Gleichgewicht der Welten liegt in ihren Händen, und darum in den meinen. Du läufst Gefahr, Schaden an deiner Seele zu nehmen, wenn du dich an die Wurzeln der Erde wagst, ohne ihre Erlaubnis einzuholen!«
Metran trat vor der erbosten Gestalt den Rückzug an. Auf seinem Gesicht wechselten sich Angst und Verwirrung ab. Loren hingegen hob die Hand und deutete gelassen mit dem langen Zeigefinger auf die Frau, die ihm gegenüberstand. »Nirgendwo«, hielt er ihr vor, und auch seine Stimme war jetzt von heftiger Wut erfüllt, »nirgendwo steht so etwas geschrieben! Und das wisst Ihr auch, bei allen Göttern. Ihr geht zu weit, Jaelle – und seid gewarnt, Ihr tut es nicht ungestraft. Das Gleichgewicht liegt nicht in Euren Händen – und Eure stümperhafte nächtliche Einmischung könnte es sogar zerstören.«
Bei diesen Worten wurde der Blick der Priesterin unsicher und Kim erinnerte sich plötzlich an Diarmuids gestrigen Hinweis auf eine geheime Versammlung.
Und es war auch Diarmuids lässige Stimme, die nun die angespannte Stille durchbrach. »Jaelle«, erklärte er, von seinem Platz neben dem Thron seines Vaters aus, »wie viel Wahrheit auch in dem liegen mag, was du da vorbringst, jetzt ist sicherlich nicht der richtige Zeitpunkt, es zu sagen. So schön du auch bist, jedenfalls störst du ein Fest mit deinem Gezänk. Und es scheint, als hätten wir einen weiteren Gast zu begrüßen.« Er verließ leichtfüßig die Plattform, ging an ihnen allen vorbei zum anderen Ende des Saals, wo Kim, als sie sich umwandte, eine weitere Frau erblickte, die unter dem riesigen Portal zu Ailells Thronsaal stand, weißhaarig vom Alter und auf einen knotigen Stock gestützt.
»Sei willkommen, Ysanne«, rief ihr der Prinz zu, und in seiner Stimme schwang tiefer Respekt mit. »Es ist lange her, seit du unserem Hof die Ehre erwiesen hast.« Als Kim den Namen hörte und die gebrechliche Gestalt dort stehen sah, spürte sie eine Berührung, als habe sich eine Hand auf ihr Herz gelegt.
Ein Raunen erhob sich unter den versammelten Höflingen, und diejenigen, die zwischen die Säulen getreten waren, begannen ängstlich zurückzuweichen. Für Kim jedoch war das Gemurmel ein bloßes Hintergrundgeräusch, denn all ihre Sinne waren auf die zerfurchte, runzlige Gestalt konzentriert, die jetzt am Arm des jungen Prinzen mit behutsamen Schritten auf den Thron zuging.
»Ysanne, du solltest nicht hier sein.« Für Kim überraschend hatte Ailell sich zum Sprechen erhoben, und obwohl das Alter ihn gebeugt hatte, war zu erkennen, dass er der größte Mann im
ganzen Saal war.
»Wohl wahr«, pflichtete die alte Frau ihm gelassen bei, als sie vor ihm angekommen war. Ihre Stimme war im gleichen Maße sanft, wie die von Jaelle hart war. Die rothaarige Priesterin musterte sie mit bitterer Verachtung.
»Warum also?« fragte Ailell leise. »Fünfzig Jahre auf diesem Thron sind eine Reise wert, dir Ehrerbietung zu erweisen«, erwiderte Ysanne. »Ist außer Metran und vielleicht Loren noch jemand anwesend, der sich so gut des Tages erinnert, an dem du gekrönt wurdest? Ich bin gekommen, um dir gelungenes Weben zu wünschen, Ailell. Und noch aus zwei anderen Gründen.«
»Welchen?« Es war Loren, der die Frage stellte.
»Erstens, um eure Reisenden kennen zu lernen«, antwortete Ysanne und wandte sich Paul Schafer zu.
Die Geste, mit der er reagierte, war von großer Heftigkeit. Schafer bedeckte mit der Hand die Augen und rief: »Nein! Keine Prüfung!«
Ysanne hob die
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