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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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endlose Verzweiflung.
    Bleich und hilflos musste Ysanne mitanhören, wie sie aufschrie, ein Schreien, das aus den Trümmern ihrer Unschuld hervorbrach, und die Seherin weinte am Seeufer. Aber immer weiter drehte sich Eilathen, durch Hoffnung und Verzweiflung, durch die kälteste Nacht, und der Stein über seinem Herzen flammte auf, als er wie ein Sturmwind der verlorenen Freiheit entgegenwirbelte.
    Kimberly jedoch spürte nichts von Zeit und Raum, vom See, dem Fels, der Seherin, dem Geist, dem Stein, denn sie war wie durch einen Zauber an die Bilder gefesselt, die Eilathens Augen ihr aufzwangen. Sie sah lorweth, den Begründer, übers Meer kommen, sah, wie er am Sennett-Strand die Lios Alfar begrüßte, und ihr ging das Herz auf ob der Schönheit der Lios in dieser Vision, und der hochgewachsenen Männer, die der Gott berufen hatte, das Großkönigtum zu errichten. Und dann erfuhr sie, warum die Könige von Brennin, alle Großkönige von lorweth bis Ailell, die Kinder Mörnirs genannt wurden, denn Eilathen zeigte ihr den Sommerbaum im Götterwald unter dem Sternenhimmel.
    Dann erblickte sie die Dalrei, bis ihre wirbelnde Bahn sich nach Nordosten wandte; sie sah, wie sie auf der Ebene die herrlichen Eltor jagten, das lange Haar zurückgebunden. Die Zwerge wurden ihr gezeigt, bei ihren Grabarbeiten unter den Bergen Banir Lok und Banir Tal, ebenso das ferne Volk im wilden Eridu jenseits der Berge.
    Dann trugen Eilathens Augen sie gen Süden, über den Saeren hinweg, und sie erblickte die Gärten von Cathal und die unvergleichliche Pracht der Fürsten jenseits des Flusses. Sie berührte das Herz Pendarans, und in einer hellen, bittersüßen Vision sah sie, wie Lisen vom Walde im Hain auf Amairgen Weißast traf und sich mit ihm verband, die erste Quelle dem ersten Magier; und sie sah sie sterben an ihrem Turm am Meer, das schönste Geschöpf sämtlicher Welten.
    Während sie noch diesem Verlust nachtrauerte, wurde sie von Eilathen hinweggeführt, den Krieg zu beobachten – den Großen Krieg gegen Rakoth. Conary sah sie und erkannte ihn, und seinen Sohn Colan, den Vielgeliebten. Sie erblickte das prächtige, entschlossene Aufgebot der Lios und die leuchtende Gestalt des Ra Termaine, des größten aller Fürsten der Lios Alfar – und nahm wahr, wie jene herrliche Schar aufgerieben wurde von Wölfen und Svart Alfar, am schrecklichsten jedoch hausten unter ihnen die Flugwesen, älter als alle Alpträume, die Maugrim entfesselt hatte. Dann sah sie mit an, wie Conary und Colan, die zu spät eintrafen, abgeschnitten und ihrerseits am Sennett eingekreist wurden, und sie erfuhr, wenn die Sonne unterging und der Nacht wich, würde Conary sterben, und sie erblickte mit pochendem Herzen die breit gefächerten Reihen der Dalrei, die singend aus Daniloth hervorgeritten kamen, hinter Revor aus den Nebeln in den Sonnenuntergang hinein. Anders als Ysanne war ihr nicht bewusst, dass sie weinte, als ihr vor Augen geführt wurde, wie die Reiter und Krieger von Bennin und Cathal, furchtbar in ihrem Zorn und ihrer Trauer, die Heerscharen der Finsternis nach Nordosten durch Andarien nach Starkadh zurücktrieben, wo ihnen der Löwe von Eridu zu Hilfe kam und wo endlich das Blutvergießen endete und der Schlachtenrausch sich lichtete und Rakoth enthüllte, der geschlagen auf den Knien lag.
    Dann wurde ihr die Fesselung gezeigt, und sie erkannte den Berg als das Verlies, zu dem er geworden war, und sie sah zu, wie Ginserat die Steine fertigte. Immer schneller folgten die Bilder aufeinander. In Ysannes Augen wurde Eilathens Wirbeln zu einem mächtigen Sog, und ihr wurde bewusst, dass sie dabei war, ihn zu verlieren. Selbst in ihrer tiefen Trauer über den Verlust spürte sie seine Freude an der Befreiung.
    Schneller drehte er sich, immer schneller, unter seinen Füßen wurde das Wasser zu weißern Schaum, und die Seherin beobachtete, wie Kimberly neben ihr vom Mädchen zur Frau wurde und lernte, was es hieß, die Wahrheit zu träumen. Eine Träumerin des Traums zu sein.
    Und es kam der Zeitpunkt, da wurde Eilathen immer langsamer und hielt schließlich inne.
    Kimberly lag rücklings auf dem Fels, alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, sie war ohne Bewusstsein. Der Wassergeist und die Seherin blickten einander lange Zeit wortlos an.
    Endlich war Eilathens Stimme zu vernehmen, hell und kalt im Mondlicht. »Ich bin zu Ende. Sie weiß jetzt alles, was ihr zu wissen vergönnt ist. Sie verfügt über große Kräfte, aber ich weiß nicht, ob sie die

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