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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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bedarf deiner. Entsage deinem Zorn und höre mich an. Es ist lange her, seit wir beide zuletzt hier standen, du und ich.«
    »Lange für dich, Ysanne. Du bist gealtert. Bald werden die Würmer sich an dir laben.« Deutlich war die schrille Freude in seiner Stimme. »Aber ich in meinem grünen Palast altere nicht, und ich nehme das Verstreichen der Zeit nicht wahr, es sei denn, das Feuer der Bannionblume stört mich in der Tiefe.« Und Eilathen streckte die Hand aus, an der der rote Ring loderte.
    »Ich würde das Feuer nicht ohne Grund zu dir hinab schicken, und die heutige Nacht bedeutet deine Entlassung aus deiner Wacht. Erfülle mir diesen letzten Wunsch, dann bist du von meinem Bann befreit.« Ein leichtes Regen des Windes; die Bäume seufzten wieder.
    »Dein Ehrenwort darauf?« Eilathen rückte näher ans Ufer. Er schien zu wachsen, ragte über die Seherin auf, und Wasser rann von seinen Schultern und Schenkeln, sein Haar war straff aus dem Gesicht gestrichen.
    »Mein Ehrenwort«, erwiderte Ysanne. »Ich habe dich gegen meinen eigenen Willen gebannt. Die ungezügelte Magie ist dazu bestimmt, frei zu sein. Nur weil meine Not groß war, wurdest du dem Blütenfeuer unterworfen. Von heute an bist du frei, das schwöre ich.«
    »Und was habe ich zu tun?« Eilathens Stimme klang eisiger als zuvor, noch fremdartiger. Wie er so vor ihnen stand, strahlte er düstere, grüne Macht aus.
    »Dies«, sagte Ysanne und deutete auf Kimberly. Eilathens stechender Blick traf sie mit schneidender Kälte. Kim sah, spürte, erfasste irgendwie die bodenlose Tiefe jener Hallen, aus denen Ysanne ihn emporgerufen hatte – die aus Seegestein und geflochtenem Seegras geformten Gänge, die vollkommene Stille seiner Heimstatt am Grunde des Sees. Sie hielt seinem Blick stand, so gut sie konnte, hielt ihm stand, bis es Eilathen war, der sich abwandte.
    »Nun weiß ich es«, wandte er sich der Seherin zu. »Jetzt verstehe ich.« Und in seiner Stimme hatte sich ein Unterton eingeschlichen, der beinahe respektvoll klang.
    »Aber sie weiß es nicht«, entgegnete Ysanne. »Also drehe dich für sie, Eilathen. Drehe die Spindel, spinne das Gewirk, damit sie erfahre, wer sie ist und was gewesen ist, und du wirst von der Bürde befreit, die auf dir lastet.«
    Eilathen stand glitzernd hoch über ihnen. Seine Stimme klang wie splitterndes Eis. »Und dies ist das letzte Mal?«
    »Dies ist das letzte Mal«, beteuerte Ysanne.
    Er hörte nicht den Unterton von Trauer in ihrer Stimme. Traurigkeit war ihm fremd, entsprach nicht seiner Welt und seinem Wesen. Er lächelte ob ihrer Worte und warf das Haar zurück, bereits erfüllt vom Vorgeschmack auf das Hinabgleiten, das tiefe Abtauchen in die grüne Freiheit.
    »Also schaue!« rief er. »Schaue, damit du wissest – und wisse, dass es für Eilathen das letzte Mal ist.« Und mit vor der Brust verschränkten Armen, so dass der Ring an seinem Finger wie ein flammendes Herz aufleuchtete, begann er, sich wieder zu drehen. Aber Kim sah, dass seine Augen die ganze Zeit auf sie gerichtet waren, selbst als er so schnell herumwirbelte, dass das Wasser des Sees unter ihm zu schäumen begann, und seine kalten, so kalten Augen und das schmerzhafte Strahlen des roten Ringes, den er trug, waren alles, was sie von der Welt wahrnahm.
    Und dann war er mit ihr verschmolzen, tiefer und vollständiger, als es je ein Liebhaber vermocht hätte, und vor Kimberly breitete sich das Gewirk aus.
    Sie sah die Erschaffung der Welten, zuerst Fionavar, dann folgten all die anderen – ihre eigene ein flüchtiger Schimmer über die Zeit der ersten hinweg. Die Götter sah sie, und kannte ihre Namen, und rührte, auch wenn sie dies als Sterbliche nicht fassen konnte, an Plan und Ziel des Webers am Webstuhl.
    Und dann wurde sie von dieser lichten Vision hinweggewirbelt, fand sich plötzlich dem Inbegriff der Finsternis in seiner Feste Starkadh gegenüber. Unter seinem Blick fühlte sie sich schrumpfen, spürte, wie der Faden auf dem Webstuhl zerfranste; sie wusste, das war das Böse. Die glühenden Kohlen seiner Augen versengten sie, die Krallen seiner Hände schienen ihr Fleisch zu zerfetzen, er zwang sie, im Herzen die tiefsten Tiefen seines Hasses auszuloten, und sie erkannte in ihm Rakoth den Entwirker, Rakoth Maugrim, den selbst die Götter fürchteten, der danach strebte, das Gewirk zu zerstören und seinen übel wollenden Schatten über alle zukünftigen Zeiten zu legen. Und sie schrak vor seiner übermächtigen Kraft zurück, durchlitt

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