Silbermantel
habt Ihr, mir gegenüber solche Äußerungen zu machen? Ich bin, was eure dummen Machtspielereien angeht, mit überhaupt niemandem verbündet. Ich bin nur einige Tage hier – glaubt Ihr denn, es kümmert mich, wer eure kleinkarierten Streitigkeiten gewinnt? Eines will ich Euch allerdings sagen«, fuhr sie schwer atmend fort, »auch ich bin über die Vorherrschaft der Männer in meiner Welt nicht gerade glücklich, aber ich bin in meinem ganzen Leben noch niemandem begegnet, der sich so in die Sache verrannt hatte wie Ihr. Sollte Ysanne sich tatsächlich verliebt haben – nun, wahrscheinlich könnt Ihr Euch nicht einmal vorstellen, was das für ein Gefühl ist!«
Bleich und wie erstarrt blickte Jaelle zu ihr auf, dann erhob sie sich ebenfalls. »Ihr könntet recht haben«, gab sie leise zu, »aber ich habe da so eine Ahnung, als könntet auch Ihr Euch nicht vorstellen, was das für ein Gefühl ist. Womit wir doch noch etwas gemeinsam hätten, nicht wahr?«
Als sie kurz darauf wieder in ihrem Zimmer angelangt war, schloss Jennifer hinter Laesha und Drance die Tür und weinte sehr lange über diese Worte.
*
Der Tag kroch langsam dahin, wie gefangen in einem Spinnennetz aus Hitze. Ein trockener, beunruhigender Wind erhob sich im Norden, durchwehte das Großkönigtum und wirbelte den Staub in den Straßen Paras Dervals auf wie ein rastloses Gespenst. Die Sonne, welche sich gegen Ende des Tages gen Westen neigte, leuchtete rot. Erst die Dämmerung brachte lindernde Kühle, als der Wind nach Westen drehte und die ersten Sterne am Himmel über Brennin erschienen.
Spät nachts ließ die Brise einen See, der von der Hauptstadt aus im Nordosten gelegen war, leise raunen. Auf einem flachen Felsbrocken an seinem Ufer, unter dem Filigranmuster der Sterne, kniete ein altes Weib und hielt die zerbrechliche Gestalt einer jüngeren Frau fest, an deren Finger ein roter Ring mit gedämpftem Licht leuchtete.
Nach einer Weile stand Ysanne auf und rief nach Tyrth. Hinkend kam er aus der Hütte, hob das bewusstlose Mädchen auf, trug es wieder hinein und bettete es auf das Lager, das er am Nachmittag vorbereitet hatte.
Während dieser Nacht und des ganzen nächsten Tages blieb die junge Frau ohne Bewusstsein. Ysanne schlief nicht, sondern hielt bei ihr Wache, solange es dunkel war, und dann in der Grelle des folgenden Tages, und auf dem Gesicht der greisen Seherin lag ein Ausdruck, den nur ein einziger Mann hätte deuten können, und der war seit langem tot.
Kimberly erwachte bei Sonnenuntergang. Das war der Augenblick, in welchem drunten im Süden Kevin und Paul soeben zusammen mit Diarmuids Männern vor den Mauern Larai Rigals Posten bezogen.
Einen Moment lang war Kim gänzlich ohne Orientierung, doch dann beobachtete die Seherin, wie der unbarmherzige Strom des Wissens sich in die grauen Augen ergoss. Kim hob den Kopf und spähte zu der alten Frau hinüber. Draußen war zu hören, wie Tyrth die Tiere zur Nacht einpferchte. Die Katze lag im letzten Licht des Abends auf der Fensterbank.
»Willkommen unter den Menschen«, begrüßte sie Ysanne.
Kim lächelte; es kostete sie einige Mühe. »Ich war so weit fort.« Sie schüttelte verwundert den Kopf, dann verzog sie den Mund, als sie sich an etwas anderes erinnerte. »Eilathen ist fort?«
»Ja.« »Ich habe ihn tauchen gesehen. Ich habe gesehen, wohin er getaucht ist, in die grüne Tiefe. Es ist wunderschön dort.«
»Ich weiß«, bestätigte die Seherin. Wieder atmete Kim ein, ehe sie etwas sagte. »War es schwer für Euch, zusehen zu müssen?«
Da wandte Ysanne zum ersten Mal die Augen ab. »Ja«, gestand sie schließlich. »Ja. Es war schwer. Die Erinnerung daran.«
Kims Hand glitt unter der Bettdecke hervor und legte sich auf die Hand der alten Frau. Als Ysanne weitersprach, geschah das sehr leise. »Raederth war Erster Magier, noch ehe Ailell König war. Eines Tages kam er nach Morvran, am Ufer des Leinansees … Du weißt, was sich in Gwen Ystrat befindet?«
»Ich weiß es«, beantwortete Kimberly ihre Frage. »Ich habe Dun Maura gesehen.«
»Er kam zum Tempel am See und verbrachte die Nacht dort, eine mutige Tat, denn an diesem Ort hat man seit den Tagen Arnairgens für keinen der Magier etwas übrig. Raederth aber war ein mutiger Mann.
Dort sah er mich«, fuhr Ysanne fort. »Ich war siebzehn und soeben dazu erkoren worden, zu den Mormae zu gehören – zum innersten Zirkel – und niemand von solcher Jugend war je zuvor auserwählt worden. Aber in jener Nacht hat
Weitere Kostenlose Bücher