Silbermuschel
– eigentlich sogar recht gut. Hier kommt man mit Fingerspitzengefühl ans Ziel, aber nicht, wenn man wie ein Elefant durch die Marktwirtschaft tappt.« Er blinzelte mich aus blauen Porzellanaugen an und senkte plötzlich die Stimme.
»Sie sehen prachtvoll aus, wissen Sie das? Ich glaube, Sie sind verliebt.«
Ich erwiderte ebenso leise:
»Erzählen Sie es bitte nicht weiter! «
Jo Leuenberger kniff ein Auge zu.
»Ne vous en faites pas. Sie wissen ja, das Schweizer Bankgeheimnis. Ich bin 171
ein Safe auf zwei Beinen.«
Franca gesellte sich zu uns. Leuenberger küßte ihr die Hand. Franca schüttelte ihre Ohrringe, lachte mit erhitztem Kopf und kam fortwährend wieder mit anderen Leuten ins Gespräch.
Die zeitweilig ansässigen Ausländer in Tokio standen in Gruppen herum. Ihre Gesichter schienen über die Köpfe der meist kleineren Japaner zu schweben.
Einige Frauen waren im Kimono erschienen. Sie trugen ihre Gewänder wie Märchengefieder. Ich bewunderte ihre vollendete Eleganz, die Aura von Schönheit, Vergeistigung und subtilem Stolz, die sie bei jeder Bewegung wie ein feines, dauerhaftes Parfüm umgab.
»Wann essen wir endlich?« seufzte Franca. »Der Botschafter wird gewiß noch reden vorher. Hoffentlich faßt er sich kurz.«
Die Erwähnung des Essens ließ mich einen Blick auf die Uhr werfen. Bald sieben. Ich stellte mein Glas auf den Tisch, beobachtete gleichgültig die gesellschaftliche Massenpantomime. Ich wartete auf Ken. Alle Gesichter, Stimmen, Augen und Gesten lagen für mich wie hinter einem Schleier.
»Da kommt Charles«, rief Franca.
Eine Japanerin mit gesenkter Kopfhaltung im Schlepptau, steuerte Charles auf uns zu. Küßchen, Küßchen. Er trug seine schwarze Lederjacke und eine Krawatte in einem seltsamen Farbton, hellblau und violett. Ich nahm den starken Geruch seines Eau de Cologne wahr.
»Ich dachte«, sagte Franca, »du wolltest mit der verlogenen Kapitalistenwelt nichts zu tun haben.«
Charles grinste gut gelaunt.
»Für Filet und Pinot Noir kann ich meine persönliche Meinung jederzeit verkaufen. Hallo, Julie!« sagte er, sich nach mir umwendend. »Rot steht dir ja phantastisch!«
»Danke«, erwiderte ich kühl.
Er warf mir einen anzüglichen Blick zu. »Wie war’s denn mit Monsieur Butterfly? Unter alten Freunden kannst du es mir ja sagen: Ist er nun schwul oder nicht?«
»Wenn er das wäre«, erwiderte ich, »würden ihn deine Vorzüge kalt lassen.«
Franca brach in Lachen aus. Charles machte ein beleidigtes Gesicht und schob seine Begleiterin nach vorn.
»Das ist übrigens Noriko, meine Frau. Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht.«
Sie trug einen Blazer von der Stange, gelb und zerknittert, einen zu kurzen Rock für ihre stämmigen Beine und schwarze, abgetragene Pumps. Doch ich sah nur ihr Haar, von bläulichen Glanzlichtern durchwoben, fest und dicht wie ein Vorhang. Erst als sie die geschmeidige Fülle mit einer Kopfbewegung zurückwarf, erschien ihr Gesicht, grobporig, mit dicken Lippen und etwas zu großer Nase. Jetzt wußte ich, warum sie dieses Gesicht unter ihrem einzigartig schönen Haar verbarg, 172
als ob sie einen Zufluchtsort suchte. Winzige feine Linien umrahmten ihre Augen, und ihr Mund hatte einen Zug von Traurigkeit. Aus einem unerklärlichen Grund empfand ich für sie Zuneigung.
»Guten Abend«, sagte ich. »Ich bin Julie.«
»Spricht sie französisch?« fragte Franca, als sei Noriko nicht anwesend.
Die Japanerin deutete eine Verbeugung an, wobei ihr schulterlanges Haar wieder nach vorn fiel.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen.« Ihr Französisch war perfekt, ihre Stimme klar und melodisch wie ein Glöckchen.
Ein Schimmer von Überraschung glitt über Francas Gesicht.
»Wo haben Sie so gut Französisch gelernt?«
»In Paris. Aber mein Französisch ist nicht wundervoll, bitte, sagen Sie das nicht. Sie machen mich sehr verlegen.«
»Es hört sich aber schön an«, sagte ich. »Schöner als bei mancher Französin.«
Sie streifte mich mit einem glücklichen Blick, bevor sie schnell den Kopf senkte; ihr Haar teilte sich, gab ein Stück der blassen Wange frei.
»Herrgott, ist das heiß hier! « sagte Charles zu Franca. »Wo gibt es denn etwas zu trinken?«
Sie machten sich auf die Suche nach einem Kellner. Noriko schenkte ihrem Fortgehen keine Beachtung. Wir standen nebeneinander und ließen die Blicke über die Gäste schweifen. Ich wußte nicht, worüber ich mit ihr sprechen sollte, sie wirkte so fern. Wozu auch? dachte ich. Ken würde
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