Silbermuschel
müde.
»Spiel nicht mit mir, Ken.«
»Chérie, das habe ich nicht im Sinn«, entgegnete er mit Wärme. »Ich weiß, daß ich ein Draufgänger bin. Aber zielt man auf die O-Daiko, muß jeder Schlag treffen.
Wenn’s dir recht ist, wollen wir ein wenig von mir sprechen.«
Er füllte unsere Becher mit Bier.
»Du und ich, wir wußten vom ersten Augenblick an, daß wir miteinander schlafen würden. Coup de foudre nennen es die Franzosen. Plötzliche Leidenschaft, der Reiz des Fremden – eine ganz alltägliche Geschichte.«
Er hob sein Glas zum Mund und sah mich an. Ich nickte wortlos.
»Für mich«, fuhr er fort, »trug die Liebe am Anfang die Maske des Begehrens.
Ich habe mich dann auf der Bühne etwas ausgelebt. Offenbar nicht genug, wie du später feststellen konntest.«
Er sah mir ins Gesicht und lächelte. Ich spürte wieder diesen süßen, aufflackernden Stich im Rückenmark und senkte die Augen. Ken erzählte weiter in seiner unbefangenen Art.
»Wir gingen zu dir ins Hotel und liebten uns. Es war schön, aber es hätte dabei bleiben können, wenn nicht ein Instinkt, ein uraltes Wissen, mir gesagt hätte, daß da mehr war. Wir hatten über Arles gesprochen. In der Nacht, als ich dich in meinen Armen hielt, tauchten die alten Erinnerungen wieder auf. Meine Unruhe damals. Mein zielloses Umherwandern. Das Gefühl, in meiner Haut zu platzen. Es gibt vieles bei mir, wovon du nichts weißt. In jenem Sommer also, da war ich komplett geladen. Alkohol, Drogen. Alles. Ich trieb mich in fremden Betten herum, verprügelte ein paar Leute und kotzte in Pissoirs – es war einigermaßen abscheulich, aber ich mußte da durch. Ein wenig erbaulicher Lebensabschnitt, den ich lieber vergessen wollte. In jener Nacht mit dir kam mir alles wieder in den Sinn, so deutlich, so intensiv, als sei es erst gestern gewesen. Es war wie ein Puzzlespiel. Hier ein Teilchen, da ein anderes, ohne daß sich das Bild zusammenfügte. Was empfand ich eigentlich für dich? Lust auf Sex?
Anziehungskraft? Neugier? Wie üblich eine Mischung von alledem, nahm ich an.
202
Ich hatte dir gesagt, daß ich dich liebte. Ich sentimentaler Esel, konnte ich nicht den Mund halten? In meinem Alter sollte man mit dem Wort Liebe etwas bedachtsamer umgehen. Es ist immer wieder dasselbe, dachte ich. Man fängt solche Sachen an und redet sich ein, es sei weiter nichts dabei. Man verwechselt Sex mit Liebe, macht sich selbst und dem Partner etwas vor und muß sehen, wie man sich aus der Klemme zieht. Du hattest mich in Aufruhr versetzt. Und womöglich nur deswegen, weil dein rotes Haar mir gefiel. Oder auch, weil du aus Arles kommst und Arles für mich eine besondere Bedeutung hat.«
Er nahm einen Schluck und fuhr fort:
»Doch sonderbar – ich wurde die Ahnung nicht los, daß wir ein gemeinsames Schicksal haben. Gleichwohl mißtraute ich der Sache, stellte mir ganz nüchtern die Frage, ob ich es nicht begrüßen sollte, daß dein Flugzeug in zwei Tagen ging. Du aber, Liebes, schliefst vertrauensvoll auf meinem Herzen, und das war eine süße Last. Ich betrachtete dich im Licht des anbrechenden Tages. Deine Wangen blühten golden unterhalb der Wimpern. Deine Brust lag auf meinem Arm. Als ich mit den Lippen die Spitze berührte, bildeten sich Fältchen in der dunkelrosa Warze, einer kleinen Mohnblume ähnlich, die ihre Blätter im Windhauch kräuselt.
Ich beobachtete es wie ein Wunder. Plötzlich hörte ich dich seufzen. Du drücktest dich enger an mich und sprachst ein Wort aus. Ein Wort in japanischer Sprache.«
Er ließ einen Atemzug verstreichen. Ich starrte ihn an und begann innerlich zu zittern.
»Was habe ich gesagt?«
»Ich weiß es nicht mehr. Ich war so überrascht, daß ich nicht genau hingehört hatte. Doch ich bekam am ganzen Körper eine Gänsehaut. Ich dachte: Was hat das zu bedeuten?«
Er lächelte und zeigte auf seinen nackten Arm.
»Siehst du? Da ist sie wieder, die Gänsehaut.«
Ich saß wie versteinert. Es war, als ob alles in mir stockte. Atem, Blut, das Leben selbst. Ich fühlte Kens Blick wie eine Berührung auf dem Grund meiner Seele. Er wußte zuviel, er spürte zuviel. Ich zog mich erschrocken zurück, schloß mich in meine Gedanken ein.
Ken drehte sein Glas hin und her.
»Im Schlaf legtest du plötzlich beide Arme um meinen Hals. Dein Körper war so weich und zart zu berühren wie ein junger Weidenzweig. Ich fühlte auf deinen Armen einen ganz feinen Flaum, wie die Seide einer Knospe. Ich dachte an jenen schwebenden Augenblick
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