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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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half mir, wieder auf die Beine zu kommen. Ich lehnte mich erschöpft an ihn, hob den Kopf zu ihm hoch. Wir küßten uns zart, mit geschlossenen Lippen. Er hielt mich mit beiden Armen umschlungen, führte mich in die Nähe des Wasserhahns. Er drehte den Duschkopf auf, prüfte die 198
    Wärme mit seinem Arm und ließ einen lauwarmen Strahl über meinen Körper laufen. Dann duschte er sich ebenfalls ab. Er wrang den Schwamm aus, entfernte ein Haar, das auf der Seife klebte, und spülte die Plastikschüsseln sorgfältig aus.
    »Wäre es nicht komisch gewesen«, fragte ich, »wenn Akiko-san unvermutet in den Baderaum gekommen wäre?«
    »Sie hätte sich höflich entschuldigt«, erwiderte er, »und sich draußen schlappgelacht.«
    Wir kleideten uns an, schlurften in unseren Pantoffeln durch den Gang, zogen die Schiebetür zu unserem Zimmer auf. Akiko-san hatte inzwischen die Futons auf dem Boden ausgebreitet. Es waren zwei dickwattierte Matratzen, mit Baumwollstoff überzogen. Ein zweiter, leichterer Futon, mit Daunen gefüllt, diente als Decke. Dazu kamen zwei kleine harte Kopfkissen. Kaum waren wir im Zimmer, als auf dem Gang Schritte zu hören waren. Akiko-san schob die Schiebetür einen Spalt weit auf. Sie stellte ein großes Lacktablett mit verschiedenen Schüsseln und Schälchen auf die Matte, verneigte sich und trat in den Raum. Anmutig kniete sie vor dem Tisch nieder, stellte die Speisen auf den Tisch. Sie fragte uns, was wir trinken möchten. Ken sah mich an.
    »Wollen wir Kornbier trinken?«
    »Gern.«
    Akiko-san verneigte sich und ging es holen. Sie glitt hinaus, ohne uns den Rücken zuzukehren, und brachte das Bier schon eine Minute später. Aus jeder ihrer kleinen Bewegungen sprach Anmut. Alles vollzog sich ungezwungen, ohne Unterwürfigkeit. Harmonie war das Wort, das mir in den Sinn kam.
    »Sie hat sich sicher gewundert, daß wir so lange im Bad blieben«, meinte ich.
    Er kicherte wie ein Halbwüchsiger.
    »Ob sie sich gewundert hat, ist fraglich.«
    Wir setzten uns auf die Baumwollkissen. Ken hob behutsam die verschiedenen Deckel, die die Speisen in den Schüsseln warm hielten. Ich staunte immer wieder, wie die Anordnung der Speisen und die Zusammenstellung der Farben auf die verschieden geformten Gefäße aus Steingut, Lack oder Porzellan abgestimmt waren.
    »Nun?« fragte Ken, »hast du jetzt Hunger?«
    Er zeigte mir, wie die Sojasoße in eine kleine Schale gegossen, mit Rettich und etwas Senf gemischt und mit den Stäbchen umgerührt wurde.
    »In der japanischen Küche«, fuhr er fort, »wird auf die Eigenschaften der Zutaten viel Rücksicht genommen. Sich einfach nur den Bauch vollzuschlagen gilt als unfein. Der Koch oder die Hausfrau bemüht sich, die Welt in Form von Naturgestalten – Landschaften, Formen und Düfte – auf den Tisch zu bringen.
    Deswegen sollen Essen und Geschirr zusammenpassen. Das hört sich zwar kompliziert an, ist es aber nicht. Für den Reis gibt es einen elektrischen Reiskocher. Ich stelle dir in zwanzig Minuten ein komplettes Essen auf den Tisch, 199
    und dabei bin ich ein schlechter Koch. Und was die Harmonie betrifft, nun, dafür hat man schließlich ein Gefühl.«
    Ich nippte an der Suppe, in der einige Stückchen Zitronenschale und etwas Kresse schwammen.
    »Merken das eigentlich die Ausländer?«
    Er kniff spöttisch die Lider zusammen.
    »Jeder japanische Koch, der für die Verpflegung von Ketchup- und Hamburger-Essern akribisch die Vollendung anstrebt, ist entweder ein Weiser oder ein Masochist.«
    Ich mußte lachen.
    »Bist du schon lange so zynisch?«
    »Ich habe gelernt, die Dinge locker zu sehen. Das war nicht immer der Fall.«
    Sein ausdrucksvolles Gesicht wurde plötzlich ernst.
    »Eine Zeitlang war ich ziemlich verwirrt. Ich hatte mich in ein Schema eingefügt und mußte, um da herauszukommen, allerlei anstellen. Tough sein interessierte mich nicht, cool sein ebensowenig, diese verdammten Modeeigenschaften wollte ich mir vom Leib halten. Ich wollte etwas anderes. Aber was? Es dauerte ziemlich lange, bis ich merkte, was ich eigentlich suchte: die Stille nämlich, den inneren Kern. Für viele Menschen ist das Erlebnis der Stille mit der Stille des Todes, der Ruinen oder der Resignation verknüpft. Hinter allem steht die Erfahrung einer Zerstörung. Ich suchte das Gegenteil, das Unzerstörbare: die Stille des sich erfüllenden Lebens. Und ich stellte fest, daß sogar ein einfacher Bauer mehr darüber wußte als ich. Daß ein Bauer auf dem Reisfeld in seiner

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