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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Zunge die Pulsadern entlang, den Arm hinauf.
    »Du hast sie wundervoll ausgesprochen.«
    Ich spürte die Feuchte des Verlangens in meinem Mund, das Feuer der 206
    Sehnsucht in Rücken und Unterleib. Er kannte meinen Körper besser als ich selbst, und vielleicht auch meine Seele. Seine Lippen wanderten über meine Schulter, den Hals hinauf, zu meinem Mund. Wir küßten uns, innig und stöhnend. Der Kampf war zu Ende, und ich war noch nicht tot; ich schmiegte mich an seine Brust, als fühlte ich meine Heimat. Plötzlich – ein kratzendes Geräusch. Ich fuhr zusammen, während Ken sich ganz ruhig und natürlich von mir löste. Der Türrahmen öffnete sich; Akiko-san verneigte sich auf der Schwelle. Sie wollte wissen, ob wir mit dem Essen zufrieden waren und ob sie abräumen könne. Ken dankte. Ja, es sei alles vorzüglich gewesen. Mit einem Tablett rutschte Akiko-san auf den Knien in das Zimmer. Ihre gelenkigen Hände schienen über den Tisch zu schweben. Sorgfältig und schnell stellte sie Schalen und Schüssel ineinander, wischte kurz mit einem feuchten Tuch über den Tisch. Ob wir noch etwas brauchten, fragte Akiko-san.
    Ken verneinte höflich. Sie verbeugte sich, wünschte uns eine gute Nacht und glitt hinaus. Die Thermosflasche mit dem grünen Tee und die Keramikbecher hatte sie dagelassen. Mit leisem Schleifen zog Akiko-san die Schiebetür hinter sich zu.
    Die Atmosphäre hatte sich plötzlich verändert. Ken kniete dicht neben mir, aber ohne mich anzurühren. Sein Ausdruck war abwesend, tiefe, gleichmäßige Atemzüge hoben und senkten seine Brust. Alles war still, andächtig fast, als habe der kommende Regen sich eine Zeit erzwungen, eine Stunde des Innehaltens, des Schwebens, bevor seine Kraft auf dunklen Windflügeln herabschlug. Ich schaute vor mich hin, wagte plötzlich nicht mehr, Kens Blick zu begegnen. Und obgleich ich reglos dasaß, fühlte ich mich wie ein Tier, das man in eine Höhle getrieben hat.
    Langsam bewegte ich die Hände, vergrub sie zwischen meinen Knien. Krallte beide Hände ineinander, so fest, daß die Fingerknöchel weiß wurden vor Anstrengung. Meine Nägel berührten die Haut, bohrten sich in die Handflächen; es schmerzte, und es tat gut. Ich rührte mich nicht, suchte den Schmerz, ich wollte noch mehr. Damit die Nägel eindrangen, mußte ich sie mit zäher, entschlossener Kraft in meine Haut pressen. Der Schmerz war nicht stark genug, nicht tief genug.
    Helle schwamm vor meinen verweinten Augen. Wenn ich nur eine Nadel hätte, wenn ich sie nur in mein Herz stoßen könnte! Dann schob sich Kens Schatten vor das Licht. Er riß meine Handgelenke fast gewaltsam hoch. Zwang mich, die Hände zu öffnen. Stieß kurz und zischend die Luft aus. Dann hob er die Augen zu mir hoch. Sie waren plötzlich schmal und dunkel geworden. Als er sprach, klang seine Stimme dumpf.
    »Du wirst mir jetzt alles sagen. Alles.«
    Ich wandte das Gesicht von ihm ab und stöhnte.
    »Nein! «
    »Du darfst keine Angst haben«, sagte er. »Ich liebe dich.«
    207

15. KAPITEL
    M ein Weinen ließ plötzlich nach. Es war, als ob tief in mir ein Faden riß und ich losgelöst über meinem Körper dahintrieb. Es war ein Atemzug, eine Sekunde oder nur der Bruchteil einer Sekunde, während ich aufhörte, innerhalb meiner eigenen Substanz zu existieren, das Gefühl hatte, über meinem Bewußtsein zu schweben. Doch schon wurde ich in meinen Körper zurückgeholt. Den Kloß des Schreckens im Hals, klammerte ich mich an die Arme, die mich hielten, wie an die einzigen festen Dinge in meinem Leben. Undeutlich, keuchend, stotterte ich ein paar Worte.
    »Was hast du denn?« fragte er. »Ich kann dich nicht verstehen.«
    »Blut! Ich… ich habe dir weh getan!«
    »Nein, du blutest. Sieh her!«
    Er spreizte behutsam meine Finger. Ich sah meine Handflächen, rot und mit Blut verklebt. Sonderbar! Ich spürte nicht den geringsten Schmerz.
    »Warum?« fragte er.
    Ich versuchte mich hochzuziehen. Meine Hände hinterließen dunkle Blutspuren auf Kens blauweißer Yukata. Alles war so sauber an ihm, so reinlich, und ich besudelte es.
    »Ich mache alles schmutzig!« stöhnte ich.
    »Nein, nicht schmutzig. Es ist nur Blut.« Kens Hände griffen mir unter die Arme und hoben mich an seine Brust. Seine Lippen berührten mein naßgeschwitztes Haar. »Rede endlich! Sag mir alles! «
    »Ich kann nicht! Ich kann nicht!«
    »Doshitano?«
    In seiner Erregung hatte er japanisch gesprochen. Er wiederholte auf Französisch.
    »Warum nur? Warum?«
    Formen

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