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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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tiefsten Erfahrung noch eins mit der Natur ist, sie ganz selbstverständlich erlebt. Das war es, wonach ich mich sehnte. Wenn ich das als Leiter einer Trommlergruppe sage, hört sich das natürlich widersprüchlich an. Und doch ist es die Wahrheit.«
    Er lächelte mit komisch herabgezogenen Mundwinkeln, als amüsierte er sich über sich selbst. Ich lächelte befangen zurück. Ich konnte ihn nicht ansehen ohne ein inneres Flattern. Er kniete nach alter Sitte aufrecht auf dem Kissen. Die Ärmel seiner Yukata hatte er hoch über die Schultern geschoben. Mir fiel auf, wie sehr er im Frieden dieses Raumes zu Hause war. Alles um uns herum war still. Nur der Wind bewegte die Sträucher vor dem Fenster, und manchmal kratzte ein Zweig an der Holzwand.
    Kens Anmut, so wurde mir bewußt, ging nicht nur von seinem unerschrockenen, ruhigen Blick aus, von der Wärme seines Lächelns. Es war etwas absolut Freies an ihm. Ich hatte den Eindruck, daß er nicht nur aus den Gesichtern las, sondern auch die stillen Schwingungen eines Menschenjenseits seines Tuns und Sagens. Und gerade davor hatte ich Angst.
    »Ich habe dich so gern«, sagte er plötzlich, »wenn du alles vergißt, auf den Flügeln deiner Gedanken dahinschwebst. Wenn du weit von mir entfernt bist und trotzdem ganz nahe.«
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    »Wie kommst du nur auf solche Gedanken?«
    »Weil ich dich liebe. Sag, woran denkst du?«
    »An dich«, sagte ich und umklammerte meine Knie. Ich fühlte mich völlig aus den Fugen. »Ich war nicht auf so was gefaßt. Ich dachte, es sei alles ganz anders.
    Viel weniger kompliziert, meine ich. Manchmal glaube ich, du bist eine Illusion…«
    »Ja, ich verstehe. Aber ich kann dir beweisen, daß ich keine Illusion bin.« Er grinste mich an, und ich errötete wie ein Schulmädchen.
    Er füllte Gemüse in eine Schale, ordnete es mit einigen geschickten Griffen zu einem hübschen Muster und reichte mir die Schale über den Tisch.
    »Das war es, was mir an dir auffiel, in diesem Theater. Die Art und Weise, in der du still warst. Aufmerksam und gleichzeitig weit weg. Ich redete irgendwas mit diesen Journalisten, aber du hörtest kaum zu. Du horchtest auf etwas anderes, auf etwas in dir selbst.«
    »Ich wagte kaum, dich anzusehen.«
    »Ich auch nicht. Noch nie hatte ich pure Begierde mit solcher Wucht gespürt.
    Und ich hatte Angst, daß man es mir ansah. Die japanische Undurchschaubarkeit ist nur eine Redensart. Uns stehen sämtliche Gefühle im Gesicht geschrieben, zum Glück sorgt unsere Erziehung dafür, daß wir uns zusammennehmen. Sonst hätten wir im Berufs- und Familienleben die schönste Commedia dell’arte. Kurzum, ich war total verkrampft. Ich dachte, gleich geht sie, und ich sehe sie nie wieder.«
    Ich lächelte.
    »Ich hatte deine Uhr.«
    »Ja. Du solltest an mich denken.«
    »Diese Uhr…«, sagte ich, »sie bedeutet dir viel, nicht wahr?«
    Seine Haltung blieb die gleiche, doch sein Blick flackerte, und ich spürte in ihm ein Schaudern, als hätte ich eine Saite berührt.
    »Sie gehörte meiner Mutter. Und später meiner Schwester.«
    »Du kanntest mich ja kaum. Es war riskant, sie mir zu geben. Warum hast du es getan?«
    Das Lächeln, das so offen und hell wie ein Sonnenstrahl war, erschien wieder auf seinem Gesicht.
    »Hast du es nicht gefühlt? Ich vertraute dir mein Leben an.«
    Ich stellte meine Schüssel auf den Tisch, legte die Stäbchen behutsam daneben.
    Der Appetit war mir plötzlich vergangen.
    »Sei still!« flüsterte ich. »Du weißt, daß ich bald wieder fortbin. Auf der anderen Seite der Erdkugel.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Nein, ich bin nicht still. Und du bleibst auf dieser Seite der Erdkugel. Ich kann manchmal recht hartnäckig sein, das wirst du schon gemerkt haben. Wenn es sein muß, entführe ich dich auf dem Motorrad. Das hat dir doch Spaß gemacht, ne?«
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    Er neckte mich schon wieder, aber ich ließ mich nicht ablenken.
    »Ken«, sagte ich rauh. »Wir müssen uns trennen. Etwas anderes gibt es nicht.«
    »Warum? Erwartet dich dein Mann auf der anderen Seite der Erdkugel?«
    »Ich lasse mich von ihm scheiden.«
    »Schön. Dann lebst du bis dahin in Doppelehe.«
    Ich starrte ihn an.
    »Wie meinst du das?«
    »Hast du nicht gehört, was ich dem Gaijin gesagt habe? Du bist meine Frau.
    Ich wollte damit nicht bluffen. Bluffen ist keine Kunst. Ich habe es gesagt, weil ich es so empfunden habe.«
    Ich drückte meine Handflächen gegen die Schläfe. Tat mir der Kopf so weh?
    Das Herz? Ich fühlte mich plötzlich sehr

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