Silbermuschel
verstand ich. Nicht alles, nein, nur einen Teil, aber das genügte. Ken hatte niemals versucht, meine Entscheidung mit einer schauspielerhaften Geste zu erzwingen. Es war eine Stimme von oben gewesen, die ihm in einer Vollmondnacht ein Zeichen gesandt hatte, ebenso deutlich und klar, wie es auch mich erreicht hatte. Wir hörten sie in unseren Herzen und folgten ihr, wie man dem Ruf des Käuzchens folgt, mit nachtblinden Augen. Und wenn es ein Jenseits gab, wo Leben und Tod keine Bedeutung mehr hatten, wenn die Liebe niemals endete, dann waren wir füreinander bestimmt. Das, was mir jetzt zu tun blieb, läuterte alle Qualen, besiegte Schmerz und Scham, bis die Liebe nur noch den klaren Himmel spiegelte, durchsichtig wie ein Wasserspiegel, nachdem aller Schlamm auf den Grund zurückgesunken ist. Und so beugte ich mich über Ken, öffnete seinen Mund mit meinen Lippen, während ich seine Schärpe löste, seine Yukata auseinanderschlug. Meine Hände glitten an seinen nackten Hüften hinab, Heißen ihn spüren, was ich wollte. Er legte sich auf den Rücken, führte mich sanft seinen Körper entlang. Ich preßte meinen Kopf dicht an ihn, streichelte ihn mit den Lippen über den ganzen Körper, ein Kuß, der alles bedeckte. Mein Gesicht tauchte hinab, glitt über seine Brust, abwärts, über den Nabel hinaus.
»Ja«, flüsterte er.
Seine Hüften bebten unter meinem Gesicht; ich preßte mich an ihn, tat es mit geschlossenen Augen. Ich hielt ihn mit meinen Lippen fest, und er bewegte sich in meinem Mund, und ich sah mit den Augen des Geistes eine grüne Sonne in flirrenden Bewegungen kreisen – eine Herrlichkeit jenseits aller Worte, ein Leben, das niemals endet.
»Bleibe, bleib noch«, sagte Ken.
Ich sah die Sonne ganz deutlich, sie schoß hinauf in mir, wirbelnd und glitzernd. Mein Körper erweiterte sich grenzenlos. Eine Wiedergeburt, das war es.
Die Freude schlug und wogte heran, zerriß die Dunkelheit in grüne Fetzen, die Sonne drehte sich und flammte und klopfte in mir wie ein Hammer. Und plötzlich ein heftiges Aufbäumen, ein grüner Blitz. Ich spürte, wie er in meinem Mund kam, und trank seinen Samen wie die Muttermilch. Und ich fühlte, während ich dies tat, wie Frieden die tiefen Wunden meines Körpers heilte. Das Licht verlosch wie ein Edelstein im Schatten, und dann war alles vorbei. Ken hatte sich leicht auf die 262
Seite gerollt; ich atmete ruhig wie ein einschlafendes Kind, dicht an seinen Bauch gepreßt, mit schweißverklebtem Haar. Ich fühlte, daß er zitterte, ein Zittern der Müdigkeit, denn er hatte mich soeben mit kreisendem Leib und dem Schmerz der höchsten Lust ein zweites Mal zur Welt gebracht.
Wir lagen beide da, mit geschlossenen Augen und matten Gliedern, und hörten im Halbschlaf, wie der Regen rauschte. Nach einer Weile spürte ich, wie Ken sich bewegte. Er kniete sich hoch, schob seine Yukata über die Schultern, knotete die Schärpe wieder fest. Dann umfaßte er meinen Rücken, zog mich behutsam empor.
Er federte auf die Fersen zurück. Er hielt mich mit seinem Arm an sich gepreßt, während er mit der freien Hand die Thermosflasche aufschraubte. Vorsichtig goß er Tee in einen Becher, nahm einen Schluck, den er im Mund behielt. Dann drückte er mich an seine Brust, preßte seinen Mund an den meinen und flößte den warmen grünen Tee in meine Lippen ein. Er wiederholte das mehrere Male, bis der Becher ganz leer war. Eine Weile noch hielt er mich auf den Knien, wiegte mich wie ein Kind. Schließlich bettete er mich auf den Futon zurück, streckte sich neben mir aus. Er schlug die Decke über uns, zog meinen Kopf auf seine ruhig atmende Brust.
»Schlaf noch ein wenig…«, sagte er leise. »Bald wird es Tag.«
Ich lächelte im Dämmerschlaf, endlich besänftigt, endlich erlöst. Ich hörte sein Herz unter meiner Wange schlagen.
»Schlaf auch du…«
»Ich bin nicht müde«, sagte er.
Eine Zeitlang noch ließ ich meine Hand über seinen Körper wandern, streichelte ihn, fühlte seine Wärme und Stärke. Im Wachen und im Schlafen wollten meine Hände nie still sein, wollten Kraft aus ihm schöpfen, genau wie damals, als ich im Garten meiner Eltern den Kastanienbaum liebkoste. Kurino-Ki.
Doch es dauerte nicht lange; nach einigen Atemzügen löste sich meine Hand von seiner Hüfte. Ich schlief fest und tief ein.
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18. KAPITEL
E in Luftzug strich über mein Gesicht. Ich drehte mich auf die Seite. Zunächst spürte ich die angenehm flache Matratze, den sauberen Bettbezug, das
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