Silbermuschel
tust du gerade? Bist du immer noch mit ihm im Bett? Weißt du überhaupt, daß wir in einer Stunde fahren?«
»Ich fahre nicht«, sagte ich. »Ich habe den Flug abgesagt.«
Sekundenlang verschlug es ihr die Sprache. Dann sagte sie:
»Du tust wirklich alles, um meine Geduld zu strapazieren. Kann ich einen Augenblick mit dir reden?«
»Ja«, sagte ich. »Ich komme.«
»Sie scheint ein bißchen nervös zu sein«, meinte Ken gleichmütig.
»Ein bißchen?« sagte ich.
»Geh und beruhige sie«, fuhr Ken fort. »Ich packe inzwischen deine Sachen und warte unten.«
Wir sahen uns an.
»Ich kann es nicht glauben«, sagte ich.
»Was denn?«
»Daß du mein Mann bist.«
»Warum? Sehe ich deinem Ex nicht ähnlich genug?«
Ich lachte, und mit diesem Lachen trennten wir uns. Ich ging über den Flur und klopfte an Francas Tür. Ihr Zimmer war ein Chaos. Sie hatte alles auf dem Bett verstreut, angeblich um eine bessere Übersicht zu bekommen, und fand überhaupt nicht mehr durch. Franca trug ihren Jogginganzug. Sie empfing mich mit finsterer Miene, zündete sich eine Zigarette an.
»Eigentlich soll mir das egal sein, wenn du für achtundvierzig Stunden in Tokio untertauchst. Aber du hättest ja mal anrufen können. Ich fing wirklich an, mir Sorgen zu machen.«
»Wir hatten kein Telefon im Zimmer.«
»Und im Gang draußen auch nicht? Na gut, jetzt willst du also in Japan bleiben.
Mich geht das zwar nichts an, aber ich frage mich trotzdem, wohin das führt. Du hast den Mann ja gerade erst kennengelernt.«
Ich lächelte.
»Beruhige dich. Ich liebe ihn nun mal.«
Sie rauchte und hustete gleichzeitig.
»Hör auf, dir das einzureden, sonst glaubst du es am Ende noch. Du bist verliebt, das ist nicht das gleiche. Wie oft muß ich dir das noch sagen?«
Ich stand mit der Schulter an die Tür gelehnt, schweigend. Franca sah mich kurz an und warf eine Geschenkpackung in ihren Koffer.
»Dir ist wirklich nicht zu helfen. Und wie stellst du dir vor, daß es jetzt weitergeht?«
Merkwürdig, dachte ich, wenn sie so mit mir redet, dann kann ich gar nicht schnell genug erwarten, von ihr weg zu kommen. Aber wenn sie nicht da ist, dann denke ich gern an sie, ja geradezu mit Zärtlichkeit.
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»Ich reiche die Scheidung ein«, antwortete ich. »Ich will kein Geld von Bruno, das erleichtert das ganze Verfahren. Ken und ich gehen jetzt nach Sado. Im Sommer fahre ich zurück in die Schweiz und bringe meine Sachen in Ordnung.«
Sie musterte mich unter gerunzelten Brauen.
»Und dann?«
»Dann heiraten wir.«
Sie hob die Zigarette an die Lippen, tat langsam einen Zug.
»Ist das dein Ernst?«
»Ich kann es kaum abwarten«, sagte ich.
Ein kurzes Schweigen folgte. Franca lief rauchend auf und ab. Das Zimmer war blau von Zigarettendunst.
»Man kann eine Sache so machen oder auch anders. Ich frage dich nicht nach deinen Beweggründen. Ich hoffe nur, daß du es nicht falsch machst. Und du bist schließlich alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen.«
»Ich habe nichts entschieden«, entgegnete ich.
»So? Hat er dir auch diese Entscheidung abgenommen?« Francas Stimme klang ausgesprochen sarkastisch. »Ist das deine ganze Selbständigkeit? Das findest du richtig, das findest du klug? Seit Jahren versuche ich, dir ein paar feministische Grundregeln einzupauken. Ich habe immer gehofft, daß du mal autonom wirst. Und jetzt läßt du dich von diesem Macho betören! «
»Er ist kein Macho«, erwiderte ich.
»Ach, nein?«
»Er ist über diese Dinge längst hinweg«, sagte ich. »Er ist… etwas anderes.«
Franca fuhr ärgerlich fort, ihren Koffer zu packen.
»Zugegeben, der Mann hat Stil. Wie er mit diesem Amerikaner fertig wurde, hat mir imponiert. Michael hat übrigens nichts mehr von sich hören lassen. Ich bin von ihm ziemlich enttäuscht. Sich so aufzuführen! Ken hat sich perfekt im Griff, aber ich traue ihm durchaus zu, daß er keine Umstände macht, wenn es mal hart auf hart geht. Wer ist er eigentlich?«
Sie sah mich neugierig an. Ich lächelte.
»Ich weiß es nicht.«
Sie betrachtete mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Dabei blinzelte sie irritiert, als ob sie mir insgeheim nicht glaubte.
»Du willst ihn heiraten und weißt nicht einmal, wer er ist? Bist du eigentlich noch zu retten? Hat er niemals von sich selbst gesprochen oder von seiner Familie?«
»Er hat mir von seiner verstorbenen Schwester erzählt. Ich glaube, er ist ziemlich viel herumgekommen.«
»Ach, das glaubst du?« warf sie höhnisch
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