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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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ein. »Der ist doch mit allen Wassern gewaschen! Und wenn du es nicht merkst, laß dir gesagt sein, daß ich es merke.
    Also hält er es nicht einmal für nötig, dir zu sagen, wer er ist. Und das läßt du dir 282
    gefallen?«
    »Das ist mir gleich«, sagte ich. »Einen Tag ohne ihn, und ich sterbe.«
    Wie eine Lehrerin in der Schule verschränkte sie die Arme über der Brust.
    »Du bist so unglaublich naiv, ich komme wirklich nicht darüber hinweg. Du bist dem Mann ja total verfallen. Was hat er bloß mit dir angestellt?«
    Ich ging von der Tür weg, zog einen Stuhl heran und setzte mich.
    »Entschuldige, ich kann nicht stehen. Ich habe keine Kraft, wenn er nicht da ist.«
    Sie drückte ihre Zigarettenkippe in den Aschenbecher und hatte sich im Handumdrehen eine neue angezündet.
    »Nimm es mir nicht übel, Julie, aber ich finde dich total kindisch. Das ist schon keine Liebe mehr, das ist Tollheit.«
    »Nenne es, wie du willst. Ich brauche das jetzt. Und er weiß, daß ich es brauche. Und er gibt es mir.«
    »Was denn? Sex als Trostpflaster, bis er nicht mehr kann?«
    Ich hatte nicht vor, mich aufzuregen. Aufregungen strengen an und führen zu nichts. Das hatte ich bei Ken gelernt.
    »Es geht nicht darum«, sagte ich.
    Franca blies dichten Rauch aus den Nasenlöchern.
    »Nein? Worum geht es denn?«
    Ich zählte bis zehn und sagte:
    »Sei mir nicht böse, aber dieses Ausfragen kann ich nicht ausstehen. Es ist schon so, daß die Leute die Liebe oft mit Gefühlen verwechseln, die nichts bedeuten, weil sie alles mögliche bedeuten können.«
    Sie warf ihr Haar aus dem ungeschminkten Gesicht und setzte sich mir gegenüber auf die Bettkante.
    »Okay. Aber du kannst die Liebe nicht immer so weiter idealisieren. Mir ist klar, daß deine Ehe mit Bruno kein Freudenfest war und daß du das Bedürfnis hast, dich auszuleben. Aber mußt du ihn denn unbedingt gleich heiraten?«
    »Wir wollen einander gehören«, sagte ich. »Über den Tod hinaus. Für alle Zeiten.«
    »Willst du damit sagen, daß er genauso hysterisch ist wie du?«
    Ein kleiner Schauer lief mir durch den Bauch.
    »Er hat mehr Selbstbeherrschung. Ken braucht mich nicht, um seiner selbst sicher zu erscheinen. Und er glaubt nicht an den Wert von Zufallslieben. Er glaubt an seine menschliche Kraft und hat den Mut, dieser Kraft zu vertrauen. Er hat keine Angst, sich hinzugeben. Und alles andere ist Nebensache.«
    Franca zog mit matter Geste den Aschenbecher zu sich hin. Ihr Gesicht im Gegenlicht kam mir plötzlich gealtert vor. Früher war sie nie müde gewesen. Oder weniger.
    »Ach, Julie, ich gönne es dir ja! Und ich wollte, ich könnte auch noch so 283
    empfinden. Aber leider mißtraue ich Gefühlshöhepunkten, irgendwie bin ich nicht neurotisch genug.«
    »Man merkt es daran«, sagte ich, »wie der andere immer wichtiger wird. Ihm in reiner Liebe eine Freude zu machen wird zum wahren Glück, zur Lebenserfüllung.
    Wir Franzosen sagen: je t’adore – ich bete dich an. Du findest das natürlich kitschig. Aber etwas Wahres ist schon dran.«
    Francas Zigarette brannte noch immer zwischen Zeige- und Mittelfinger. Ob etwas Asche auf den Teppich fallen und ein Loch hineinbrennen würde?
    »Es stimmt schon«, sagte sie, »du siehst anders aus.«
    »Ich? Nein.«
    »Es scheint doch so. Macht ihm deine Schlafsucht nichts aus?«
    Ich schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Das ist vorbei.«
    »Vorbei? Auf einmal? Das gibt es doch nicht!«
    »Siehst du«, sagte ich langsam, »ich hatte da ein Problem, von dem ich nicht reden konnte.«
    »Das ist mir schon klar. Aber an dich war ja nicht heranzukommen.«
    Franca sprach zurückhaltend, doch ihre Pupillen, sich leicht hin und her bewegend, forschten in meinem Gesicht. Ich sah von ihr weg.
    »Ich… ich war gerade zwölf, als ich von meinem Vater vergewaltigt wurde.
    Eine Zeitlang verlor ich den Verstand. Meine Mutter sperrte mich ein wie ein Tier.
    Die Leute sollten nichts davon wissen.«
    Franca schien voll und ganz in die Betrachtung ihrer Zigarette versunken, deren Asche immer länger wurde.
    »Ich ahnte, daß es sich um so etwas handeln könnte.« Ihre Stimme klang vorsichtig. »Aber von einer Therapie wolltest du ja nichts wissen.«
    Ich zögerte einige Atemzüge lang, weil es plötzlich so leicht zu sagen war, so leicht wie jedes andere Wort, das aus meinem Mund kam.
    »Das ist noch nicht alles. Ich wurde von meinem Vater schwanger und habe selbst abgetrieben. Mit einer Stricknadel. Ich bin fast gestorben daran.«
    Sie atmete

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