Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Sonia Delaunay. Sie war, wie man damals sagte, sehr fashionable. Ihre Schönheit, gleichsam fremdartig und klassisch, mußte manchen bezaubern. Ob sie Affären hatte? Ich habe keinen Grund, es zu bezweifeln. Aber sie war nicht vom Schicksal dazu bestimmt, in Europa zu bleiben. 1934 fuhr sie nach Japan zurück.
    Mayumi war jetzt 25 Jahre alt, für japanische Begriffe ein ›spätes Mädchen‹.
    Alles an ihr war auffällig und extravagant: ihre schlagfertige Ironie, ihr ungezwungenes Auftreten, ihre elegante und nachlässige Art, sich zu kleiden und zu frisieren. Die meisten Leute in Japan verbeugten sich, gingen, redeten, lächelten, wie sie gestern und in den vergangenen Jahrhunderten sich verbeugt, geredet und gelächelt hatten. Mayumi aber hatte in Europa eine völlige Selbständigkeit erworben, eine Vertrautheit mit fremden Städten und Sprachen; und vielleicht auch das heimliche Gefühl, eine Außenseiterin zu sein, die überall und nirgends zu Hause ist. Das alles zusammen machte ihre Stärke und zugleich ihre Schwäche aus: Sie fiel auf, wo immer sie hinkam, und gehörte nirgends hin.
    324
    Zwar wohnte Mayumi in Tokio noch immer bei ihren Großeltern, aber ihre Art zu leben war nicht comme il faut. Sie entwarf Theaterkostüme, Bühnendekorationen mit abstrakten Bildern und Collagen, bewegte sich in einer kreativen Avantgarde, deren Freizügigkeit sich gegen die konservative öffentliche Meinung richtete. Ihre Eltern in Hiroshima, die sie nur selten zu Gesicht bekamen, machten gute Miene zum bösen Spiel und bereuten insgeheim ihre Nachsicht. Sie fühlten sich schuldig, daß Mayumi nicht unter die Haube kam. Wie sollte diese eigenwillige junge Frau, die stets etwas von der Unordnung des fremden, großzügigen Europas in das formelle Japan brachte, die laut lachte, spöttisch sprach, sich rasch und ungeniert bewegte, wie sollte eine solche Frau einen Mann finden? Ihre beiden älteren Brüder waren verheiratet und hatten bereits Kinder. Der Fortbestand der Familie war also gesichert. Und als Mayumi auf einer Liebesheirat bestand, fiel ihren Eltern ein Stein vom Herzen, obwohl man bei der Wahl des Bräutigams ein wenig die Nase rümpfte. Kenji Miura – mein Vater – gehörte nicht zu den sogenannten besseren Kreisen, sondern war der einzige Sohn eines Lehrers. Statt in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, hatte er sich in Tokio auf eigene Faust durchgeschlagen und Filmregie studiert. Als er Mayumi traf, war er im Begriff, sich in der Filmbranche einen Namen zu machen. Für beide war es Liebe auf den ersten Blick. Nun gut, die Eltern gaben ihre Zustimmung, und die Hochzeit fand –
    wie man sagt – im engsten Familienkreis statt. Kenjis Mutter war bereits gestorben, nur der Vater war anwesend. Er soll ein warmherziger alter Herr gewesen sein, aufgeschlossen für alles Neue. Da er allein wohnte und Kenji der einzige Sohn war, zog das junge Ehepaar einstweilen zu ihm. Der Vater starb zwei Jahre später; meine Eltern blieben in dem kleinen Haus im Viertel Omote Sandô wohnen. Durch ihren Mann war Mayumi mit der Filmtechnik in Berührung gekommen; neue Wege der kreativen Gestaltung taten sich vor ihr auf. Ihre eindringlichen, fast abstrakten Studiodekorationen, die Licht und Schatten stark einbezogen, brachen mit dem Traditionalismus. Der erste Film, den Kenji mit seiner Frau inszenierte, war eine nach Kyoto transponierte Fassung von Pelleas und Melisande und hatte in Japan großen Erfolg.
    1936 brachte Mayumi ihre erste Tochter, Isami, zur Welt. Und auch nach der Geburt des Kindes übte sie ihren Beruf aus, was in der damaligen Zeit noch sehr unüblich war.«
    Ken hielt kurz inne, um Atem zu schöpfen. Sein Blick glitt an mir vorbei, nach draußen. Wind war aufgekommen; die Schatten waren plötzlich dunkler und von unterschiedlicher Dichte. Das Wasser war eine stille Fläche; die Karpfen lagen tief nachdenkend auf dem schwarzen Grund.
    »Meine Eltern spürten sehr früh, wie das Böse heraufzog. Sie konnten es überall wahrnehmen: bei den einzelnen, in der Gesellschaft, in der Presse. Das Böse lauerte hinter der glänzenden Außenseite des Lebens, hinter der Sorglosigkeit, dem Geschwätz, der Jazz- und Schlagermusik, den Modetänzen aus 325
    Amerika. Aus den Tiefen des kollektiven Unbewußten stieg die Flut des Bösen empor, schwoll langsam heran, zog die halbe Welt in den gewaltigen Sog der Zerstörung. Künstler spüren solche Dinge. Bis zum letzten Augenblick flüchteten meine Eltern in die Scheinwelt der

Weitere Kostenlose Bücher